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Mein erstes Assassin’s Creed: Fazit nach satten 90 Spielstunden – der Suchtfaktor im Retro-Check

Vier Gründe für große Begeisterung. Mit Assassin’s Creed Syndicate holen mich Ubisofts Abenteuer ein – mit viktorianischem Charme.

Eine Bildmontage zum Computerspiel Assassin's Creed Syndicate.
© Ubisoft Entertainment / Ubisoft Québec / Adobe Photoshop [M]

Video-Test

Im Video-Test zu Assassin's Creed Odyssey verraten wir, ob es Ubisoft mit mit dem neuen Fokus auf Entscheidungen und Konsequenzen gelungen ist, die Serie nochmals voranzubringen.

Während ich diese Kolumne schreibe, wurde gerade Assassin’s Creed Shadows vom November dieses Jahres auf den 14. Februar nächsten Jahres verschoben. Und ich: Habe gerade Assassin’s Creed Syndicate durchgespielt, mein allererster Titel der Meuchelmörder-Reihe – also, von Anfang bis Ende, mit Hauptmission, Nebenmissionen und allen mir bekannten DLCs (diverse Item-Suchereien ausgeklammert). „Was will der Vorgestrige? Brüstet sich mit seiner Lücke, ein Assassin’s Creed erst 17 Jahre nach Release der Franchise-Mutter durchgespielt zu haben!“, denkt ihr jetzt vermutlich.

Normalerweise liebe ich Action-Adventures, wie andere Spitzenreiter aus meiner Steam-Bibliothek beweisen – Shadow of the Tomb Raider hat sich bei 44 Stunden eingependelt, in Rise of the Tomb Raider habe ich 42 Stunden versenkt. Aber die üppig gewachsene AC-Reihe hatte ich bislang aus Gründen unbekannt ignoriert – bis jetzt. Gretchenfrage: Wie konnte mich der neunte Teil der Hauptreihe für sich einnehmen?

Grund 1: Süchtig machender Gameplay-Loop

An dieser Stelle könnte jetzt eine ganze Litanei von Feature-Freuden und Alleinstellungsmerkmalen stehen: Die offene Spielwelt des Viktorianischen London, die beiden charismatischen Streithähne Evie und Jacob Frye, der von Violinen und Celli getragene Score von Austin Wintory – aber das alles fällt nach hinten weg angesichts des süchtig machenden Gameplay-Loop. Öfter, als sich an zwei Händen abzählen lässt, habe ich mich zu einer Session mit Syndicate vor den Rechner gesetzt, um die Hauptstory weiter durchzupeitschen – nur, um letztlich kreuz und quer über die Pflastersteine der britischen Landeshauptstadt zu galoppieren.

Aktuell in den Schlagzeilen: Shadows verschiebt sich erstmal um ein paar Monate.

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Hier will der Stadtteil Lambeth von brutalen Bullies befreit werden, da muss der Aussichtspunkt auf der St.-Pauls-Kathedrale erklommen werden, dort lockt eine ins Sichtfeld meines Adlerauges gerückte Schatztruhe mit geldwerten Materialien – und überhaupt: Wäre doch unfair, brächte ich die Raubeine im Fight Club in der City of London um ihre tägliche Portion ausgekugelter Oberarmknochen. Sprich: Der Gameplay-Loop hatte mich am Haken – sorgte bei mir für langfristige Motivation.

Grund 2: Lebendige Spielwelt

Als ich zum ersten Mal Assassin’s Creed Syndicate angeworfen habe, war ich unterweltigt. Das Adlerauge kam mir wie ein eingebauter Cheat-Modus vor, die Kampfmechanik wirkte unterkomplex und langweilig, Jacob Frye wie ein generisches Schlitzohr, der eine Staffel Peaky Blinders zu viel geguckt hat.

Ein Screenshot aus dem Computerspiel Assassin's Creed Syndicate.
Nicht ganz „His Girl Friday“ von Howard Hawks, aber die ungleichen Geschwister sorgen doch für Situationskomik satt. Credit: Ubisoft Entertainment / Ubisoft Québec

Spätestens von dem Moment an jedoch, als ich mit den beiden Zwillingsgeschwistern im Bahnhof Whitechapel vom Bahngleis gesprungen, einem Taschendieb hinterher durch Londons Gassen gesprintet bin – und schließlich das Dreigespann Evie, Jacob und Jayadepp Mir bildgewaltig die von hustenden Schornsteinschlöten tapezierte, viktorianische Skyline erblickt habe, sagte mir eine Stimme im Hinterkopf – und sollte Recht behalten: „Oje, du wirst jetzt viel (zu viel) Zeit mit diesem Spiel verbringen.“

Und, ja, im Vergleich zu meiner gerade mal 90 Stunden Spielzeit sind die dreistelligen, verbrachten Spielzeiten, die ich bei Freund*innen mit Open-World-Brechern wie Baldur’s Gate 3 oder Cyberpunk 2077 beobachte, ein lauwarmer Flatus dagegen, aber mal ehrlich: Die offene Spielwelt vor der realen Haustür ist noch ein Stückchen spielenswerter – obwohl Assassin’s Creed Syndicate nach meinem Dafürhalten einen wirklich wunderbaren Makro-Kosmos aufschlägt.

Grund 3: Progessions-Gefühl und eigene Straßengang aufbauen

Schon relativ früh im Spielverlauf erhalte ich die Fähigkeit, zwei Gegner*innen parallel hinterrücks zu erdolchen. Je mehr ich mich durch Syndicate schleiche und schnetzle, desto mehr Fähigkeitspunkte sammle ich, wobei nach einem bestimmten Schwellenwert hochgelevelt wird. Diese Skillpunkte nehme ich demnach als Evie oder Jacob in die Hand, um Fähigkeiten entlang meines Skilltrees immer weiter auszubauen. Sowohl bei Evie als auch Jacob ist dieser Baum geschmückt mit Fähigkeiten unterteilt in die Kategorien Kampf, Schleichen und Ökosystem.

Was auf die Ohren: Untertunnelt von diesem Track geht’s zum illegalen Straßenrennen zu Ross.

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Der Clou: Für Evie und Jacob gibt es jeweils Endstufen zu unterschiedlichen Fähigkeiten, die nur eine*m Geschwisterpart vorbehalten bleibt. Etwa für Evie gibt’s exklusiv den Skill Chamäleon, der mich, sofern im Schleich-Modus befindlich, (fast komplett) unsichtbar macht – ihrem Bruder Jacob bleibt diese Fähigkeit vorenthalten, dafür darf der männliche Konterpart exklusiv zu Revolverheld 2 hochleveln, wodurch Konterschüsse immer zu Kopfschüssen werden.

Und hey, habe ich schon erwähnt, was für eine Gaudi es ist, sich seine eigene Straßengang aufzubauen? Die grün gekleideten Schergen nonchalant heranzupfeifen, um mit einem halben Dutzend der Grobiane im Rücken ein „Feuer eröffnen!“ zu grölen – damit einem der Templer-Sympathisanten den Kopf von den Schultern zu blasen? Eine Mordsgaudi im wahrsten Wortsinn.

Grund 4: Spaßige DLCs und innovative Art der Fortbewegung

Das komplette Spektrum meiner Begeisterung abzubilden, kann dieses Meinungsstück nicht bieten. Was ich euch – und denjenigen unter euch, die bisher „aus Gründen“ die Assassin’s Creed-Reihe umschifft haben – mitgeben möchte, ist erstmal die Art der Fortbewegung. Die funktioniert in Assassin Creed Syndicate nach meinem Dafürhalten nämlich ganz famos – erreicht ihren Höhepunkt, sobald der Greifhaken angelegt wird. Von da ab heißt es: in Sekundenschnelle Kirchturmspitzen hochgekraxeln!

Ein Screenshot aus dem Computerspiel Assassin's Creed Syndicate.
Vor Königin Viktoria geht’s auf die Knie, um den Ritterschlag entgegenzunehmen. Obendrauf gibt’s eine Einladung zum Kuchen. Credit: Ubisoft Entertainment / Ubisoft Québec

Auf Knopfdruck eine Häuserwand wie Spiderman hochzuschießen, dann über Häuserdächer, Ziegelsteine, über Gauben entlanghüpfen, querfeldein in Richtung des ausgewählten Questmarkers zu pflügen, war mir eine diebische Freude. Ganz zu schweigen von den Kutschenrennen, wenn ich beim Pferdeschnauze-an-Pferdeschnauze-Endspurt den Kontrahenten mit Gewalt seitlich in den Straßengraben zwinge – um doch noch den ersten Platz zu erringen.

Ich weiß, die zeitgenössische Kritik hat die Kutschennavigation in Assassin’s Creed Syndicate teilweise moniert; ich persönlich hatte einen Heidenspaß. Siehe nachstehendes Video.

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Ein abschließendes Wort zu den drei DLCsJack the Ripper, The Last Maharaja, The Dreadful Crimes: Die Questreihe rund um Duleep Singh gibt für mich das Schlusslicht, hatte meiner Meinung nach eher den (weniger) diskreten Charme einer mittelprächtigen Fan-Mod – dafür dürfte ich mit Jakob einen (oder mehrere) über den Durst trinken und sternhagelvoll Zielübungen mit dem Schießeisen absolvieren.

Jack the Ripper verpufft zwar in seiner Erzählung viel zu früh, aber der Zeitsprung zu einem gealterten Geschwisterpaar, die aufgestoßene Subkultur rund um die käufliche Liebe und das diesig-deprimierende London haben mich abgeholt. Und: Obwohl Dreadful Crimes ganz anders funktioniert als das übliche Schleichen-und-(durch Kehlen)Schlitzen, fast was von einem klassischen Adventure hatte, konnte ich das bedächtige Aufdröseln von Kriminalfällen goutieren – und den geistigen Autopiloten mal verlassen.

Ein Screenshot aus dem Computerspiel Assassin's Creed Syndicate.
Älter, gereifter – und aus ihrer Wahlheimat Indien zurück in London, setzt Evie Frye die mentale Deerstalker-Mütze auf. Credit: Ubisoft Entertainment / Ubisoft Québec

Ausblick: Nach Assassin’s Creed Syndicate kommt die Bruderschaft

Zugegeben: Ich bin also samt und sonders euphorisiert von Assassin’s Creed Syndicate. Auch, wenn es Leser*innen mit warmen Gefühlen für die aktuelleren Adventure-Rollenspiele Odyssey, Valhalla & Co. übel aufstoßen mag, wenn ich Syndicate als persönliches Gaming-Gold glorifiziere – es ist eben das: Meine persönliche Meinung. Gleichviel. Syndicate hat einen prägenden Eindruck bei mir hinterlassen und eine erste Dreiviertelstunde habe ich schon mit Assassin’s Creed Brotherhood angerissen.

Die im Vergleich zu Syndicate klobige Steuerung und das umständliche Klettern hat mich erstmal abgeschreckt. Doch ein Erkundungsstreifzug durch Rom, Vatikan und Umland übt eine nicht zu leugnende Strahlkraft aus. Ich bin gespannt (wie Ezios Nervenkostüm), ob mich auch Brotherhood vom Hocker holen wird.

Apropos Assassinen: Lest in meiner ersten Kolumne zu Assassin’s Creed Syndicate nach, wie ein virtuelles Widersehen mit den Geistesgrößen Karl Marx und den beiden Charles aussehen kann.

Quellen: Twitter / @assassinscreed, Gamers Global, Map Genie, YouTube / @Austin Wintory, @Assassin’s Creed Series