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BioShock (Shooter) – BioShock

Computer- und Videospiele sind schon immer da gewesen – jedenfalls für viele Erwachsene, die sich heute in fantastische oder reale Welten begeben. Sie sind je nach Genre eine digitale Vergrößerung des Spielzimmers oder die interaktive Erweiterung der Leinwand. Aber sie müssen sich im Gegensatz zu anderen Medien dafür rechtfertigen, dass sie erwachsene Inhalte thematisieren. Vielleicht brauchen ihre Kritiker ein Spiel wie BioShock, das zeigt, wie fern das junge Medium einem interaktiven Rambo 3 sein kann.

© Irrational Games / 2K Games

Selbst das Sicherheitssystem lässt sich überrumpeln, falls es gelingt, Geschütztürme oder Überwachsungskameras zu hacken. Wird ein solcher Versuch gestartet, muss die langsam fließende Energie innerhalb der Geräte von ihrem Eintritt bis zu einem Ausgangspunkt geleitet werden, indem ein zusammenhängendes System aus Rohren gelegt wird. Ist die zeitkritische Aktion erfolgreich, schießen Geschütztürme auf Splicer, Überwachungskameras rufen bei Feindkontakt hingegen von Propellern angetriebene Sicherheitsdronen, die auf Gegner feuern. Der Spieler darf auch eine der Dronen hacken, die ihn fortan munter surrend begleitet, und er kann Verkaufsautomaten auf dem gleichen Weg manipulieren, um sich günstigere Preise für Munition oder Erste Hilfe-Kästen zu erschleichen. Das gleiche gilt für Erste Hilfe- sowie U-Invent-Stationen, welche aufgelesene Materialien wie Gummischläuche, Schrauben oder Leim in Munition oder genetische Modifikationen umwandeln. Vielleicht

hätten unterschiedliche Methoden zum Hacken der Systeme auf Dauer gut getan, aber das Gefühl der Kontrolle über 

Eine gehackte Sicherheitsdrone steht dem Spieler hilfreich zur Seite. Andere Dronen greifen ihn an.

seine Umwelt überwiegt die Monotonie.

Deus ex machina

Praktisch: Die erwähnten genetischen Modifikationen erleichtern das Hacken, schützen gegen Angriffe mit Feuer oder Elektrizität, machen den Spieler kurzzeitig unsichtbar, verstärken die Wirkung von Erste Hilfe-Kästen oder lassen ihn stärker mit dem Schraubenschlüssel zuschlagen. Letzterer kann somit auch dann noch hilfreich sein, wenn man längst schwer bewaffnet durch die futuristische Retro-Stadt trottet. Und das ist eine der wichtigsten Errungenschaften in Irrationals Shooter. Denn wo es in ähnlichen Werken nur darum geht, profillose Feindbilder mit immer stärkeren Waffen und mächtigeren Fähigkeiten zu vernichten, wird der Protagonist in Rapture nie zum militärischen Erretter. Stattdessen 

ist er wie beim Betreten der ersten Luftschleuse auf sein Können und den klugen Einsatz seiner Mittel angewiesen. Waffen können in zwei Stufen verbessert werden, genetische Mutationen erweitert – aber immer in kleinen Schritten. BioShock kennt kein Deus ex machina, keine wundersame Auflösung der Bedrohung. Aber sein wichtigstes Element kommt erst mit der Vorstellung von Big Daddy und Little Sister zum Tragen – einer der tragischsten Paarungen in der Geschichte der Videospiele.

Hilflose kleine Mädchen laufen barfuß über steinerne Straßen. Sie leiten ihre Beschützer durch die modernde Metropole, klettern auf ihren Rücken, lassen sich den Kopf tätscheln. Sie werden müde, wenn ihre Arbeit erledigt ist und lassen sich

Bilder sagen mehr als Worte:

BioShock Start-Trailer
Spielszenen von der E3

in vergoldete Eingänge hieven, hinter denen sie verschwinden. Doch ihr Gesang klingt düster. Er wirkt wie die Einleitung des nächsten Aktes eines Psycho-Thrillers. Und ihre Augen brennen wie die Glut zum Tor der Hölle. Atlas erklärt, dass diese Mädchen längst keine Menschen mehr sind. Denn sie tragen einen Parasiten in sich. Kein Tier, das sie auffrisst. Keins, das sie zu Monstern macht. Sondern ein Parasit, der mithilfe des Blutes der Toten Adam produziert. Jenes Adam, auf das sich die kranken Einwohner wie Tiere stürzen. Jenes Adam, das Andrew Ryans zu einem reichen Mann machte. Jenes Adam, wegen dem sie nur in Begleitung der wuchtigen, in massive Taucheranzüge gezwängte Big Daddys ihren sicheren Hort verlassen. Jenes Adam, das der Spieler dringend braucht, um seine eigenen Mutationen zu bezahlen…

Schuld und Mitleid

Aus dem Tagebuch eines Spielers: „Ich fürchte mich vor den Big Daddys. Als wäre ihre riesige Erscheinung nicht Furcht einflößend genug… ich habe einen von ihnen in Aktion gesehen. Solange man sie in Ruhe lässt, kümmern sie sich nur um ihre Little Sisters. Sie stoßen einen beiseite, wenn man ihnen zu nahe kommt. Aber sie greifen nie an. Und wenn man es doch tut? Ich hatte nie so eine unbändige Wut erlebt. Sein Anzug widersteht jedem Widerstand. Seine Angriffe sind schneller als alles, was ich bisher gesehen habe. Aber ich BRAUCHE ihr Adam! Ich kann nicht ohne überleben. Ich bin zu schwach, um jemals ohne diese… Mutationen hier raus zu kommen. Und plötzlich ging es los. Drei Splicer, ein Big Daddy – und ich. Wie die Hunde sind wir über unser Opfer hergefallen. Wir haben es geschlagen,

Als riesige Kampfmaschinen wüten die Big Daddys durch Rapture. Sie greifen jedoch nie an, sondern verteidigen nur sich und ihre Litte Sisters.

gelähmt, beschossen. Ich schäme mich, wenn ich daran denke. Er hat sich eine Ewigkeit gewehrt. Und dann weinte sie plötzlich ganz allein neben dem toten Riesen. Hat ihn angefleht, aufzustehen. Keiner war übrig, nur ich stand noch da. Soll ich sie für ein bisschen Adam von diesem Leiden befreien, den Parasiten entfernen und wieder ein Mädchen aus ihr machen? Oder reiße ich das Tier aus ihr heraus und hole mir mehr Adam, als ich je erträumt hatte? Ich habe nichts übrig gelassen…“

Obwohl oft anders behauptet: Schuld und Mitleid sind in Videospielen keine Unbekannten. Und um genau zu sein, sind Levines spielerische Konsequenzen bis auf eine kleine Variation zum Schluss geringer als es die Intensität des gewaltsamen Mordes vermuten lässt. Aber BioShock atmet. Die Welt wirkt so plastisch, die Handlung trotz ihrer Linearität so nachvollziehbar und die Figuren so menschlich, dass schon der mögliche Tod des Mädchens, ausgelöst durch die eigene Hand, etwas berührt, das sonst nur Autorenfilmer oder Romanschreiber erreichen. Levine beweist, dass eine geschickte Dramaturgie über die Ich-Bezogenheit des Spielers Medien-übergreifend zu den effektivsten gehört. Daran rüttelt auch die verhaltene Inszenierung der Splicer nicht, welche zwar als lebendige Erweiterung des stark verkünstelten Raptures funktionieren, aber nie als Personen greifbar werden. Ihre größten Momente haben die einfachen Gegenspieler als horrende Kulisse, wenn sie von der Decke hängend über den Spieler herfallen oder dieser im undurchdringbaren Nebel nur ihre aus allen Richtungen hallenden Schritte wahrnimmt, um kurz darauf ins Antlitz einer entstellten Fratze zu blicken.     

  1. xKepler-186f hat geschrieben: 13.07.2019 18:44 @Nachtgold
    Wenn man sich mit einem Thema bereits eingehend beschäftigt hat, dann ist es ja offenbar doch ein "inspirierendes Thema". Und wenn man das Thema im Spiel als solches nicht unbedingt erkannt hat, hat man sich vielleicht noch nicht genug damit beschäftigt. ;) Dann würde ich es doch eher als eine Bereicherung ansehen. Gerade in einem Hobbybereich, der an vielen Ecken immer noch künstlerisch verkannt wird.
    Ok, dann deutlicher: Was sie da herausinterpretiert haben, ist sehr eindimensional, und sicher keine unheimlich tolle, tiefgründige Erkenntnis;).
    Das genannte Thema ist vllt. in viel komplexeren Zusammenhängen inspirierend.
    [Ist nicht als Angriff gemeint - mir ging es früher ebenso: Es ist eines der größten Probleme unserer Zeit, dass nicht um mehrere Ecken gedacht wird, und nicht das allen Selbstverständliche hinterfragt wird]
    Das Spiel hat mich einfach überhaupt nicht gepackt, und ich verstehe nicht ansatzweise, wie das eine solch hohe Bewertung hat erhalten können.
    Ja - ich hatte zumindest etwas System Shock 2-ähnliches erwartet.
    Das System Shock 1 Remake könnte interessant werden.

  2. Stimmt schon, eine Erwartungshaltung spielt enorm in eine Bewertung hinein. Den Vergleich zu System Shock 2 habe ich nicht, aber ich habe es bei Splinter Cell: Conviction erlebt, wie sehr man buchstäblich enttäuscht werden kann. So war Conviction für sich genommen ganz okay, aber ich sah nur, dass es nicht in der Tradition seiner Vorgänger stand und fand es deshalb schlecht.
    Bei Bioshock hatte ich damals überhaupt keine Erwartung. Ich sah den Trailer und dachte: Das Monster (Big Daddy) ist echt befremdlich und Gewalt gegen kleine Mädchen geht gar nicht. Ich war also eher empört über das Spiel und lehnte es ab. Ein Jahr später kaufte ich es dann im Sonderangebot, eigentlich nur, um mir die viel gelobten DX10-Effekte anzuschauen. Aber nach ner Stunde bemerkte ich, dass es für mich weit mehr als ne Techdemo darstellt und konnte gar nicht mehr genug davon kriegen. Für mich war das auch alles neu. Stadt unter Wasser, lauter Irre, dann die Big Daddys und die kleinen Mädchen ... das Spiel hat einfach enormen Esprit. Man merkt, dass da eine Vision hinter steht. Und das ist halt auch das Besondere an Bioshock: Eine Vision, gut umgesetzt.

  3. JunkieXXL hat geschrieben: 12.07.2019 11:23 These: Du hast ein System Shock 2 in neuem Gewand erwartet, das aber bei Bioshock nicht vorgefunden, deswegen gefällt es dir nicht.
    Nun, weder die Entwickler, noch die Presse wurden nicht müde im Vorfeld zu betonen, wie sehr das alles doch ein geistiger Nachfolger von System Shock 2 sei ... von daher überrascht es nicht, dass hier eine Diskrepanz zwischen Erwartung und Ergebnis festgestellt wurde.
    Persönlich fand ich Bioshock ganz nett, aber weil ich beide System Shocks schon kannte, mir die Story und das Setting auch schon aus klassischen SF-Romanen bekannt war, wo der Held in einer höchst unwirtlichen Gegend auf die mysteriöse Stadt/Maschine/Installation eines wahnsinnigen XYZ trifft ... ja, war nett, hat Spaß gemacht, aber zumindest für mich war da nichts Weltbewegendes zu sehen.

  4. @Nachtgold
    Wenn man sich mit einem Thema bereits eingehend beschäftigt hat, dann ist es ja offenbar doch ein "inspirierendes Thema". Und wenn man das Thema im Spiel als solches nicht unbedingt erkannt hat, hat man sich vielleicht noch nicht genug damit beschäftigt. ;) Dann würde ich es doch eher als eine Bereicherung ansehen. Gerade in einem Hobbybereich, der an vielen Ecken immer noch künstlerisch verkannt wird.
    Zum freien Willen: Zu einem Großteil sind wir mit Sicherheit die Summe vieler Dinge, die uns beeinflusst haben. Stichwort: Sozialisation. Es wird ja beispielsweise auch nicht davon ausgegangen, dass ein Mensch "gut" oder "böse" geboren wird. Genauso wurde ich persönlich auch nicht mit einer besonderen Affinität zu "Nutella" geboren. Dass ich das Zeug grundsätzlich gerne esse, liegt an der Werbung und, dass man es überall kaufen kann. Mein freier Wille entscheidet sich beim Schokocreme-Kauf regelmäßig für diese Marke, die Frage ist, ob das wirklich mein ursprünglicher Wille ist oder ob mir das nur jahrelang eingetrichtert wurde. Und natürlich stellt sich auch die Frage, ob ich daran unbedingt was ändern muss. Ich bekomme ja trotzdem eine gut Schokocreme. Also ist mir mein freier Wille in dem Moment auch einfach egal. :)
    Und das muss man Bioshock lassen: In dieser Intensität hat sich vorher kein anderes Videospiel mit dem Thema befasst. Spontan fällt mir da Metal Gear Solid 1 (von 1998) ein, in dem am Ende der Bösewicht den Protagonisten (und somit auch den Spieler) bloßstellt, man hätte ja durchaus "Spaß" am Töten der Feinde gehabt. Was sogesehen vollkommen wahr ist. Wenn man das Spiel anfängt, dann macht man sich keine Gedanken, ob man nun einen virtuellen Gegner abknallt oder nicht. Die Gameplaymechanik ist immer Mittel zum Zweck und meist gibt es eine klare Grenze zwischen Gut und Böse, um den Spieler in keine Gewissenskonflikte zu bringen. Klar ist es ein virtueller Raum, aber ab und zu mal zu hinterfragen, was wir uns medial so alles reinziehen, schadet...

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