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Bomb Rush Cyberfunk (Action-Adventure) – Bomb Rush Cyberfunk im Jet Set Radio ist tot, lang lebe Jet Set Radio!

Über 20 Jahre haben die Dreamcast-Perle Jet Set Radio und ihr Nachfolger Jet Set Radio Future schon auf dem Buckel und trotz einiger gegenteilig anmutender Gerüchte hat sich Sega bislang zu keiner Neuveröffentlichung oder einer weiteren Fortsetzung hinreißen lassen. Fans dürften also ganz schön aus dem Häuschen gewesen sein, als das Indie-Studio Team Reptile im August 2021 Bomb Rush Cyberfunk ankündigte, das ohne Zweifel in die graffitigefärbten Fußstapfen von Jet Set Radio treten will. Mit dem knalligen Cel-Shading-Artstyle und talentierten Komponisten wie Hideki Naganuma schien man zumindest in den Trailern genau den Ton der geistigen Vorlage zu treffen. Nun macht Bomb Rush Cyberfunk endlich die Straßen unsicher und wir haben uns die Rollerblades umgeschnallt, um im Test zu prüfen, ob die Skate-Simulation auch spielerisch ins Rollen kommt.

© Team Reptile / Team Reptile

All Cops Are Beautiful
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Sobald der erste Farbtupfer meine Sprühdose verlässt, strömen Polizisten aus allen Löchern der Stadt. Klar: Auch hier ist Graffiti illegal. © 4P/Screenshot

Bomb Rush Cyberfunk glänzt also eher, wenn es mich von der Leine und einfach durch die Gegend streifen lässt, abseits irgendwelcher Crew-Battles und Zeitlimits. Zumindest so lange, bis ich meine Sprühdose aus den in den Knien hängenden Baggy Pants zücke und die Stadt zu meiner Leinwand mache. Dann sitzt mir nämlich in Windeseile ein Haufen Polizisten im Nacken, die mich meine Künstlerambitionen lieber hinter Gittern ausleben lassen wollen. Hier greift, genau wie es Hobby-Gangster aus der Grand Theft Auto-Reihe kennen, ein Heat-System: Je mehr Graffitis ich verteile, desto mehr Männer in Blau tauchen auf und desto härter sind die Geschütze, die sie bei der Jagd auf mich auffahren.

 

 

Stehen bei einem Stern noch nur einige typisch tollpatschige Gesetzeshüter auf der Matte, folgen bei zwei Sternen schon verankerte Metallkästen, die fliegende Ketten auf mich schießen und mich so in meiner Mobilität einschränken, während drei Sterne Scharfschützen aktiv werden lassen, die meinen Lebensbalken aus der Ferne unter Beschuss nehmen. Ein Konzept, das angesichts der Graffiti-Gangs natürlich hervorragend zu Bomb Rush Cyberfunk passt, leider aber nicht ganz ausgereift ist: Die Polizisten erscheinen zu häufig, die Heat-Anzeige steigt zu schnell. Besonders die erwähnten Ketten, die nach nur wenigen Sprühaktionen auftauchen, rissen mich mehrfach aus dem spaßigen Skaten und sind so ein echter Stimmungskiller. Das mag man als sozialkritischen Kommentar sehen, der polizeiliche Probleme in der Gesellschaft zur Schau stellt – spielerisch ist es aber ziemlich nervtötend.

 

 

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Wo das Spielgefühl beim Skaten glänzt, verblasst es beim Kampfsystem: Die Raufereien mit den Cops sind einseitig und langweilig. © 4P/Screenshot

Zwar lässt sich die Heat-Leiste leeren, indem ich in einer der Umkleidekabinen in New Amsterdam mein Outfit wechsle. Doch die kastenförmigen Rettungshäfen sind weitläufig verteilt, nicht immer gut erreichbar und vor allem ein weiterer Moment der Flow-Unterbrechung – keine optimale Lösung also. Während man vor den durch Graffiti alarmierten Cops immerhin mit Ach und Krach davonlaufen kann, sperrt mich Bomb Rush Cyberfunk im Verlauf der Geschichte das ein oder andere Mal mit ihnen in ein kleines Gebiet, wo ich vom mäßig gelungenen Kampfsystem Gebrauch machen muss. Mit den Kunststücktasten führe ich stylische Tritte aus, die sich bei Gegnerkontakt anfühlen, als würde ich gegen nasse Sandsäcke stoßen. Der einzige Trost: Wenn ich auf die Knöpfe hämmere, kippen die Polizisten recht schnell und ohne Gegenwehr aus den Latschen, und allzu häufig kommen diese Begegnungen auch nicht vor.

 

 

Pure Ästhetik

Nach kleineren und größeren Ärgernissen können wir uns nun wieder den schönen Dingen widmen, zum Beispiel der Optik von Bomb Rush Cyberfunk. Aus den digitalen Dosen wird nämlich nicht nur Graffiti-Farbe, sondern auch eine ordentliche Portion knallig-bunte Dreamcast-Atmosphäre versprüht, die die geistige Identität von Jet Set Radio mit all ihren Ecken und Kanten in die Gegenwart holt. Die blockigen Charaktere in ausgefallenen Outfits, die einfarbigen Autos und die poppigen Werbetafeln machen New Amsterdam zu einer malerischen Metropole, die sich auch im Vergleich zu fotorealistischen Cyberpunk-Citys sehen lassen kann.

Auch in den gelegentlichen Traumsequenzen geht Bomb Rush Cyberfunk optisch aufs Ganze und ertränkt mich in einem Meer aus famosen Farben.

Dazu tragen natürlich auch die gelungenen Graffitis bei, die ich in einem nur zwei bis drei Sekunden andauernden Mikrospiel an den Wolkenkratzerwänden hinterlasse. Nicht nur, dass ich die Stadt so Stück für Stück noch bunter mache, ich markiere auch wortwörtlich mein Revier, indem ich die Sprühkunst anderer Gangs übermale. Das Mikrospiel selbst ist nicht der Rede wert: In einer sternförmigen Vorlage bewege ich meine Linie von rechts nach links oder diagonal und jedes Graffiti hat dabei seinen eigenen Verlauf, den ich in meinem virtuellen Handy jederzeit nachschauen kann. Die verschiedenen Straßenmalereien sind dafür umso beeindruckender und extra von Künstlern für das Spiel angefertigt worden. Hier ist Herzblut in die Sprühdosen geflossen.

 

Um mein Repertoire an Graffitis zu erweitern, heißt es mit offenen Augen durch die Stadt sausen: Die fliegenden Motive finden sich in Hinterzimmern oder auf Dachterrassen und oft sind meine Skate-Künste gefragt, um dorthin zu gelangen. Neben der sammelbaren Street-Art finden sich an anderen Stellen auch Outfits für meine Charaktere sowie Songs, die ich dann über das erwähnte Handy abspielen kann, wenn mir der aktuell laufende Track nicht gefällt oder ich zum fünften Mal hintereinander „Get Enuf“ von Hideki Naganuma hören will. Womit wir beim Soundtrack wären, der ähnliche Lobeshymnen wie die Optik verdient hat.

 

Der Sound der Straße

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Zum wummernden Soundtrack über die Rotorblätter eines Windrades zu rasen? Das gibt es nur bei Bomb Rush Cyberfunk. © 4P/Screenshot

Fetziger Funk, brummende Beats, harmonisches House und hemmungsloser HipHop: Von Anfang an attackiert Bomb Rush Cyberfunk meinen Gehörgang mit einem exzellenten Soundtrack, der durch Abwechslung glänzt und sich gleichzeitig wie aus einem Guss anhört. Selten habe ich bei einem Videospiel bereitwilliger meine Anlage auf Anschlag aufgedreht, um Komponisten wie Hideki Naganuma, 2 Mello, Klaus Veen oder KiloWatts eine lautstarke Bühne zu bieten. Entspannte Lofi-Beats lassen mich den Wind in den nicht vorhandenen Haaren meines Roboterkopfes spüren, wenn ich über Leitplanken grinde, und explodierender Elektro-Funk sorgt bei den Crew-Battles für Feuer unterm Bord und meinem digitalen Hintern.

 

 

Hätte das Spiel eine andere Musikuntermalung, würde das Skaten nur halb so viel Spaß machen, könnte ich die Polizisten noch weniger verkraften und wäre die Dreamcast-Ästhetik nicht ansatzweise so bezaubernd. Der Ton macht die Musik und die Musik macht das Spiel, das stimmt für Bomb Rush Cyberfunk wie für kaum einen anderen Titel. Falls ihr auch nach dem Test noch vor der Kaufentscheidung stehen solltet, lohnt definitiv ein Blick auf YouTube, um dort eine Kostprobe des Soundtracks vorzunehmen. Sollte euch das Gehörte dann überzeugen, findet ihr Bomb Rush Cyberfunk für 39,99 Euro auf dem PC, der Nintendo Switch, der PlayStation 4 und der Xbox One.

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