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Draugen (Adventure) – Zeitreise ins kalte Norwegen

Von Amerika bis Graavik, ein von der Außenwelt fast komplett abgeschnittenes Dorf im kalten Norwegen, reist Edward Charles Harden auf der Spur seiner vermissten Schwester. Was heute ein Katzensprung ist, war in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein beachtliches Unterfangen, denn Edward scheut für seine Suche weder Zeit noch Mühe. Zum Glück ist er deshalb nicht alleine – und die lebendigen Unterhaltungen zwischen ihm und seiner jungen Begleiterin haben mich im Test glatt an das famose Firewatch erinnert…

© Red Thread Games / Red Thread Games

Hand aufs… Fenster

Einen großen Anteil hat daran außerdem die physische Präsenz, mit der Edward in allen Szenen erkennbar ist. Er rudert ja nicht nur das Boot anfangs in Richtung Graavik, sondern öffnet auch alle Türen, liest aus Briefen und Büchern vor, legt sogar die Hand sichtbar aufs Fenster, wenn man hinausschaut u.v.m. Es gibt keine Aktion, die wie von Geisterhand geschieht. Alle Schriftstücke sind zudem lesbar; streng genommen benötigt man nie künstlich übers Bild gelegte Hilfetexte, um Nachrichten zu entziffern. So ist man immer direkt im Geschehen drin. Nur dass die Kamera Edward beim Zeichnen seiner Skizzen plötzlich von außen zeigt, ist ein ärgerlicher, insgesamt aber zum Glück seltener Immersionsbruch.

Schön ist nicht zuletzt, dass man in den Gesprächen mitunter die Wahl zwischen verschiedenen Antworten hat – falls man überhaupt antworten will. Wobei die Entwickler auch hier mitgedacht haben und viele Antwortmöglichkeiten detailliert beschreiben. So drückt Edward nichts aus, was man Alice gar nicht mitteilen wollte. Man sollte nur bereit sein sich in den Protagonisten hineinzuversetzen, denn oft deckt Draugen nicht alle denkbaren Antwortmöglichkeiten ab. Man merkt, dass Red Thread (der Name ist Programm) eine kohärente Geschichte mit einer klar definierten Hauptfigur erzählen will. Dieses Adventure ist kein Rollenspiel und über weite Strecken auch klarer definiert als die Telltale- und andere Titel, darüber muss man sich bewusst sein.

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Die lebendigen Unterhaltungen zwischen Edward und Alice erinnern an das hervorragende Firewatch. © 4P/Screenshot

Knotenteppich

Und es ist schwer über den Verlauf der Ereignisse zu sprechen, ohne etwas Wichtiges vorwegzunehmen. Deshalb werde ich das auch nicht tun, ihr könnt allerdings wissen, dass man mit Edward nicht nur der von seiner Schwester gelegten Fährte folgt, sondern gleichzeitig ein dunkles Geheimnis aufdeckt. Sämtliche Knoten sind dabei verbunden und so erzählt Red Thread Games eine ebenso persönliche wie spannende Geschichte.

Perfekt gelingt das allerdings nicht – aus verschiedenen Gründen. Der für mich offensichtlichste sind Abschnitte vor dem Finale, in denen recht unvermittelt entscheidende Teile der Geschichte relativ schnell aufgedeckt und Edward in aller Ausführlichkeit dargelegt werden. In diesen Minuten kam ich mir etwas überrumpelt vor, habe mir ein behutsames Heranführen an die Auflösungen gewünscht und dass ich Teile davon selbst herausfinden darf, anstatt sie gebündelt diktiert zu bekommen.

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So viel verrät schon der Trailer: Edward und Alice kommen recht bald einem düsteren Geheimnis auf die Schliche. © 4P/Screenshot



Fantasie und Wirklichkeit

Zusätzlich kann man Draugen durchaus vorwerfen, dass es wichtige Teile seiner Handlungsebenen relativ oberflächlich behandelt. Oder zumindest nicht mit der Sorgfalt, die ihnen andere Spielemacher hätten zukommen lassen. Ich glaube, dass Autor und Regisseur Ragnar Tornquist das auch nie vorhatte, sprich im Wesentlich andere Prioritäten verfolgt hat. Dennoch hätte manchen Aspekten eine Idee mehr Tiefe womöglich gutgetan.

Doch wie gesagt: Wenn die Reise vorüber ist und Edward die Geschehnisse Revue passieren lässt, dann steckt man plötzlich auf interessante Weise in seiner Gedankenwelt. Dann macht Tornquist die Magie alltäglich und das Alltägliche magisch – und gibt der Fantasie damit einen Stellenwert, der ihr in diesem Zusammenhang häufig abgesprochen wird. Auch das klingt womöglich hochtrabender als es ist. Ich habe diesen gefühlvollen Schlussstrich unter das emotionale Abenteuer aber sehr genossen und mag Tornquists toleranten Blick, mit dem er dieses Abenteuer erschaffen hat.

  1. Ich finde, Alice ist das mit Abstand beste am "Spiel". Hat viel Humor, ist fantasievoll und verspielt. Ich finde den Charakter faszinierend. Ganz im Gegensatz zum Protagonisten, der auf mich zugeknöpft und langweilig wirkt. Ein Charakter, der zum Lachen in den Keller geht. Aber Edward bildet einen guten Gegenpol zu Alice, immerhin.
    Grafik ... na ja. Technisch keinesfalls auf dem neuesten Stand, aber trotzdem ganz nett. Hässliche Spiele gibts ja heutzutage nicht mehr.
    Die Geschichte ist für mich die Schwäche des Spiels:

    Show
    Der Twist, dass der Protagonist geisteskrank ist, hat mich beim Film "A Beautiful Mind" noch übelst geflasht und schockiert, da ich diese Art von Wendung damals noch nicht kannte. Mittlerweile hab ich dieses psychodramaturgische Element aber so oft in Filmen, Romanen und Spielen präsentiert bekommen, dass es fast schon klischeehaft rüberkommt.

  2. Ich habe es gestern angefangen und habe bereits ca. 4 Stunden hinter mir. Müsste jetzt ca 3/4 durch haben, wobei ich mir auch sehr viel Zeit lasse und alles genauer beobachte. Hier meine Eindrücke bisher:
    Alice: Diese Figur hat mich am Anfang mit ihrer Ausdrucksweise und Benehmen tierisch genervt. Später gewöhnt man sich etwas daran. Finde trozdem, dass eine "ernstere" Figur besser gepasst hätte.
    Welt: Sehr Idylisch und harmonisch. Grafik geht auch in Ordnung
    Geeschichte: Finde die Geschichte bis jetzt interessant und es fesselt einen. Leider sind viele Sachen jedoch voraussehbar, wenn man die Umgebungen etwas genauer beobachtet und nicht durch rusht (sollte man bei dieser Art spielen eh niemals tun). Meistens fühlt man sich in seinen Vermutungen Bestätigt ohne große Überraschungen.
    Protagonist: Interessanter Character mit nachvollziehbaren Handlungen, Gedankengängen und motiven. Sehr gelungen.
    Alles in allem gefällt mir das Spiel bereits ziemlich gut. Es kommt nicht an "What remains of edith finch" oder "everybody gone to the rapture" ran ist aber klar besser als "gone home" und "dear esther".
    Wer auf so was steht kann bedenkenlos zu schlagen

  3. Briany hat geschrieben: 05.06.2019 23:11 Edith ist absolut empfehlenswert. Eine leicht andere Schiene aber hat extrem Eindruck bei mir hinterlassen: Firewatch! ;)
    "Firewatch" war eine große Überraschung und gehört für mich zu den besten Spielen der letzten Jahre. Die Navigation nur mit Kompaß war cool, es schwebte der Geist von Stephen King über der Landschaft, und die Dialoge sind bis heute die besten und erwachsensten, die ich je in einem Videospiel bewundern durfte. Das war erstklassige Schriftstellerei und für die Spiele, die ich so kenne, ein völlig neues Niveau.
    Ich würde vielleicht auch "Draugen" eine Chance geben, ist aber wohl blöd auf dem PC ohne Grafikkarte ...

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