Dry Drowning hatte mein Interesse geweckt, weil der Noir-Thriller vom bedeutungsschwangeren Intro über die dunkle Vergangenheit des Protagonisten bis hin zum Studieren der Indizien in blutigen Mordfällen mit einem starken Einstieg startet. Und tatsächlich konnte das Spiel die so geweckten Erwartungen auch erfüllen – allerdings nur, wenn man auf deutsche Texte verzichten konnte. Denn die wurden dem PC-Original erst im Nachhinein hinzugefügt, sind aber natürlich vom Start weg Bestandteil einer frisch erschienenen Switch-Version, die den düsteren Krimi erfreulich originalgetreu auf Nintendos Handheld überträgt.
In dem Szenario fühle ich mich ohnehin wohl: eine Dystopie der nahen Zukunft, wo technologische Errungenschaften eine ebenso große Rolle spielen wie menschliche Abgründe. Nova Polemos ist eine zum Stadtstaat gewachsene Metropole, in der soziale Ausgrenzung und Überwachung alltäglich sind. Zeit der Handlung ist das Jahr 2066. Dem Privatdetektiv Mordred Foley wird vorgeworfen, die Indizien eines Mordfalls so fingiert zu haben, dass zwei Unschuldige hingerichtet wurden. Die Beweislage war zwar nicht stark genug, um ihn anzuklagen, doch die öffentlich gewordenen Anschuldigungen verbessern nicht gerade die Auftragslage seiner Agentur.
Interaktion, aber wenig Eingreifen
Also nimmt er einen Auftrag an, der nicht nur finanziell vielversprechend erscheint, sondern auch Licht auf einen alten Fall werfen könnte. Die Sache hat nur einen Haken: Sein Klient ist der Chef einer Partei mit faschistischen Zielen. Ob man den Auftrag annimmt oder nicht, steht dabei nicht zur Wahl – so stark verzweigt der Plot bis kurz vor Schluss leider nie. Man kann allerdings gegenüber den Ansichten des Klienten Stellung beziehen und den Fall später gar manipulieren, was sich auf Kleinigkeiten in Gesprächen und Handlungsteilen auswirkt.
Mehrere solcher Entscheidungen muss man als Mordred fällen, stellenweise über Leben oder Tod eines Charakters oder gar gravierende Änderungen, die ganz Nova Polemos betreffen. Dry Drowning ist damit entfernt mit den Telltale-Abenteuern verwandt, obwohl es sich am ehesten wie ein Point&Click-Adventure spielt und man während der festen Unterhaltungen keine Wahl zwischen verschiedenen Gesprächsoptionen hat. An The Walking Dead & Co. erinnert auch, dass man Tatorte untersuchen, dafür aber lediglich alle Interaktionspunkte einmal anklicken muss. Mitunter darf man außerdem mehrere Schauplätze in beliebiger Reihenfolge und beliebig oft besuchen. Die dort stattfindenden Gespräche sind aber fast immer komplett vorgegeben.
Detektivspiel
Dennoch schaut man nicht nur zu. Immerhin findet man im Inventar zu allen Indizien, die Mordred sammelt, kurze Informationen. Das Gleiche gilt für Personen, denen er begegnet, oder von denen er erfährt. Mitunter löst er sogar Minispiele, was eine gelungene Abwechslung vom vielen Lesen ist. Schade nur, dass sich der Anspruch dieser Ablenkungen in überschaubaren Grenzen hält. Die Aufgaben hätten gerne anspruchsvoller sein und häufiger vorkommen können!
Die etwas kleinere Version
Was mir hingegen wenig Freude bereitet, ist die Tatsache, dass sämtliche Texte in Originalform auf den kleinen Bildschirm der Switch gepresst werden, sodass man sie vor allem unterwegs schlecht lesen kann. Bei manchen Dialogfenstern ist dann sogar Rätselraten angesagt – stellt euch den oberen Screenshot mal während einer Bahnfahrt vor. Über gelegentliche kleine Fehler in den Texten kann ich hinwegsehen, doch die mickrige Schriftgröße ist gerade in einem textbasierten ein echtes Ärgernis. Im Gegenzug startet die Switch-Version mit der vor einigen Monaten auf PC hinzugefügten, besseren Benutzerführung, die jederzeit das Speichern des Spielstands sowie den Zugriff aufs Menü erlaubt, um z.B. schon inmitten eines Gesprächs Indizien und Notizen einzusehen. Das gleicht die fehlende Rücksichtnahme auf das mobile Spielen allerdings ganz aus.
So schön ich es auch finde wenn Visual Novels es hier her schaffen: Wenn es immer darauf hinausläuft fehlendes Gameplay zu kritisieren und nur von Interaktionsmöglichkeiten zu berichten sehe ich nicht wirklich viel Sinn hinter den Tests. VNs müssen sich auch nicht "spielerisch weiterentwickeln" - das macht sie eben mehr zu Spielen und weniger zu VNs. Mir fehlen hier deutlichere Details zur Geschichte an sich. Worin liegen die konkreten Reize hier? Wie sind die Charaktere und deren Interaktionen untereinander? Wie gestaltet sich die Narrative abseits der Prämisse? Ist es gruselig und/oder spannend geschrieben, kann man niemandem vertrauen, sind die Verstrickungen Komplex? Ist der Hauptcharakter nur Token für den Spieler oder hat er selbst spannende Geheimnisse? Oder einen Blick auf die Welt der die Erzählung bereichert? Es geht ständig darum wo man mal spielerische Eingriffe vornehmen kann, aber wenig darum warum diese für einen relevant sein sollten. Stattdessen wirkt es so als würden alle Dinge, die es weniger zur VN und mehr zum Spiel machen positiv hervorgestellt werden und der Rest den Titel runterdrücken.
Entschuldigung für soviel Negativität hier, aber nach dem Test bin ich quasi so schlau wie vorher als jemand, der das Format liebt. Ob ich nun zwei Mal was klicken kann oder kein Mal ist in dem Format relativ irrelevant, auch wenn spannendes Knobeln a la Phoenix Wright natürlich die Erfahrung bereichern kann.