Die Ausgangslage von Help Will Come Tomorrow macht neugierig, denn die Russische Revolution wurde bisher kaum in Spielen thematisiert. Was 1905 mit Protesten gegen den Zaren begann, führte gegen Ende des Ersten Weltkriegs zum Sturz der Monarchie, dann zu blutigen Bürgerkriegen und letztlich zur Gründung der Sowjetunion im Jahr 1922. Das Spiel entführt euch ins Russland des Jahres 1917, in die Zeit der Oktoberrevolution. Der aus Deutschland unterstützte Lenin und seine Bolschewiken strebten die „Diktatur des Proletariats“ an.
Aber keine Bange: Arclight Creations inszeniert kein interaktives Geschichtsseminar mit Wissensquiz zu Menschewiken, Trotzki & Co, sondern ein Survival-Abenteuer, in dem die Beziehungen die Hauptrolle spielen sollen. Nach einem Anschlag auf die Transsibirische Eisenbahn müssen jeweils zufällig zusammen gewürfelte Charaktere in der Wildnis überleben. Was den Entwicklern durchaus gelingt, ist die Darstellung der unterschiedlichen politischen und menschlichen Perspektiven in den (allerdings nicht ins Deutsche übersetzten) Dialogen: Es gibt Aristokraten, Kommunisten, Sozialisten, Soldaten, Politikmüde, Trinker, Desillusionierte – und vier von ihnen sitzen plötzlich irgendwo in Sibirien fest. Zunächst kann sich kaum jemand leiden, was sofort mit roten Zahlen markiert wird, wenn man sie für eine Arbeit zusammen bringt. Aber Politik oder Animositäten hin oder her: Wenn sie nicht handeln, sterben sie!
Sibirische Kälte
Zunächst gilt es Schnee wegzuschaufeln, was erste Rohstoffe einbringt, um damit wiederum ein Lagerfeuer zu entzünden und vielleicht einen Wasserfilter oder Kochtopf zu bauen – so beginnt der typische Kreislauf von Sammelei und Freischaltung innerhalb kleiner Techtrees. Aber für gemütlichen Aufbau ist keine Zeit: Sehr früh geht es ans Eingemachte, denn die Gruppe hat kaum Vorräte und jeder zeigt schnell negative Effekte durch Kälte, Durst und Hunger. Vor allem Letzterer lässt sich zunächst kaum stillen, so dass der Verzehr von Moosen und Pilzen zu Krankheiten führt. Was tun? Die beiden am Tag verfügbaren Aktionspunkte pro Charakter möglichst effizient einsetzen, um entweder Dinge wie ein Lager oder Werkzeuge herzustellen, Tee zu kochen oder auf Erkundung zu gehen, um zu sammeln oder zu jagen. Die Herausforderung besteht in der Auswahl: Wer kann was und mit wem am besten?
Klingt interessant, aber leider wird all das vollkommen statisch dargestellt: Man erlebt nichts aktiv, sondern wählt sich bei teils hakeliger Steuerung durch Menüs, um nur leidlich animierte Charaktere auszuwählen, die zusammen oder alleine etwas tun, während ihre Werte angepasst werden oder sich Wesensmerkmale wie „Perfektionist“ oder „Stark“ zeigen, die Boni oder Mali für Aktionen einbringen. Das mutet nur an der Oberfläche wie motivierendes Rollenspiel an, zumal es ja Beziehungen gibt, abends jeweils Dialoge geführt werden und auch Wildnis-Zwischenfälle mit Entscheidungen anstehen. Doch all das mutiert schnell zu einem Icon-Management samt Trial&Error-Routine mit viel zu vielen langweiligen Wiederholungen und abstrusen Einschränkungen.
Spätestens bei der Erkundung auf der Hexfeldkarte wirkt das auch mehr wie ein interaktives Brettspiel als ein Survival-Abenteuer. Hier wird die Spannung auch dadurch dezimiert, dass man vor dem Betreten eines unbekannten Feldes noch anzeigt, wie risikoreich es dort ist. Obwohl ich Brettspiele bekanntlich liebe, konnten mich weder das Crafting-Prinzip noch die stückweise freigeschalteten Missionsziele oder die Aufdeckung des Geländes lange motivieren, zumal Storytelling und Spielerlebnis keine Symbiose eingehen – wie etwa in ähnlich reduzierten, auf erzählerische Finessen fokussierten Abenteuer à la 80 Days oder Heaven’s Vault. Auch die stets präsente Gefahr durch bewaffnete Marodeure verpuffte in der statischen Routine der ewig gleichen Aktionen. Und bei einem erneuten Anlauf habe ich die anfangs interessanten Dialoge sogar übersprungen, selbst wenn es sich um neue Charaktere handelte. Man ist auch auf einige Zufälle in der Wildnis angewiesen, damit nicht plötzlich wieder einige am Lagerfeuer bewusstlos werden – was meist das Ende einleitet. Immerhin kann man dem frühen Tod durch Verhungern über einen leichteren Schwierigkeitsgrad etwas abhelfen, aber dann entfaltet sich die Story weitgehend über die kaum animierten Lagerfeuergespräche, die den Charme eines interaktiven Bilderbuchs der 80er versprühen. Im Jahr 2020 wirken Figuren- und Spieldesign gerade für ein Survival-Abenteuer viel zu spröde. Hier hätte man eher Richtung Adventure designen sollen.
Jup, Arclight Creations ist das produzierende Studio. Lass dich von meiner Kritik nicht abschrecken, auf Steam gibt es "sehr positive" Resonanz.
Wobei Klabater ja in der Regel nur als Publisher agiert. Lediglich Crossroads Inn wurde von einem eigenen Studio entwickelt.
Aber irgendwie wirst du berechenbar Jörg, mir war schon nach diesen Eröffnungssätzen klar, wo die Reise wertungstechnisch hingeht
Irgendwie schade, eine Alternative zu den beiden "Dead in..." Games mit ner richtigen Story wäre schön gewesen. Aber kostet ja nicht die Welt, vll. geb ich ihm trotzdem mal ne Chance...