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Orwell: Keeping An Eye On You (Adventure) – Big Schnüffler ist watching you…

Lust auf ein erzählerisch kreatives Adventure mit Thriller-Flair und aktuellem politischen Bezug? Dann könnte Orwell: Keeping An Eye On You interessant sein. Zwar haben wir das Spiel bei der Premiere im Oktober 2016 für PC nicht besprochen, aber jetzt sind alle Episoden komplett auf Deutsch für iOS veröffentlicht worden – nicht zu verwechseln mit dem Nachfolger Orwell: Ignorance is Strength. Und wie sich beim Test herausstellte, haben die Hamburger Osmotic Studios nicht nur ein subversives Talent für Storytelling, sondern sie wecken auch wohlige Erinnerungen an Eternal Darkness.

© Osmotic Studios / Surprise Attack Games / Fellow Traveller

Fiktiver westlicher Staat

Es gehört zu den großen Herausforderungen einer nicht visuell erkundbaren Spielwelt, dass sie nur über Texte und Webseiten die Illusion erzeugen muss, tatsächlich eine zu sein. Auch wenn es einige faule Kompromisse gibt, weil man nicht wie im realen Internet wirklich alles anlicken und checken kann: Neue Schlagzeilen, Wetterberichte und ein stets wachsendes Archiv an teilweise vernetzten Links bis hin zu Dating-Portalen oder Angelvereinen sorgen dafür, dass man das Gefühl einer in sich stimmigen Gegenwart bekommt. Die beruht auf einem fiktiven westlichen Staat nach Vorbild der USA, der gerade zum Schutz seiner Bürger und Grenzen den Datenschutz aushebelt.

Dazu tragen vor allem die glaubwürdigen Charaktere bei, darunter Professoren, Anwälte, Musiker etc., die in einem Netz aus Beziehungen verbunden sind, das man erstmal entwirren muss. Dabei vervollständigt man quasi Biographien und ertappt sich bei den eigenen Vorurteilen, die durch Hobbys, Beruf oder Äußerungen entstehen. Aber Vorsicht: Wenn man einmal jemanden beschuldigt, indem man z.B. seine Aversion gegen die Regierung oder einen Spruch über eine Bombe als Datensatz hochlädt, kann man das nicht mehr aus Orwell zurücknehmen! Irgendwann reichen diese Indizien und der Verdächtige wird im Auftrag von Symes verhaftet – vielleicht sogar noch in dem Moment, in dem man auf seinem Rechner spitzelt. Das sind ebenso spannende wie unheimliche Momente.

Leerlauf ja, aber es bleibt spannend


Es gibt auch Leerlaufphasen in Orwell, in denen man alles nochmal durchwühlt, weil man die eine oder andere Aufgabe von Symes nicht sofort erledigen kann. Es entsteht aber meist ein eigenartiger Flow aus Neugier und Sammelreizen, wenn man während der Recherche plötzlich einen Chat live beobachten kann, darin die fehlenden Bankdaten extrahiert und direkt Zugriff auf das Konto bekommt, während sich Symes vor lauter Spitzeleifer überschlägt. Man bekommt ein Gefühl für die Macht, die in digitalen Daten steckt. Aber was noch viel wichtiger ist: Man bekommt auch ein Gefühl für den Machtmissbrauch, wenn man eine Person falsch einschätzt.

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Was hat es mit der Gruppe auf sich? (PC) © 4P/Screenshot

Zu den Schwächen von Orwell gehört neben der Statik, einigen faulen Kompromissen und teilweise wirrer Menüführung, dass man nicht frei jeden Textbaustein als Verdacht extrahieren kann, sondern nur vormarkierte. Unter diesen ist nur einigermaßen Vielfalt vorhanden, so dass man gefühlt alles nutzen kann.  Aber die totale Beliebigkeit der Auswahl wird zumindest dadurch ausgeglichen, dass sich Symes manchmal fragt, warum man das für wichtig erachtet, und dass es auch böse Folgen haben kann – nicht nur klar markierte Widersprüche zwischen der Akte und späteren Erkenntnissen, sondern auch die oben erwähnten Zugriffe.

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Auf dem PC konnte man sich noch Beziehungen anzeigen lassen. (PC) © 4P/Screenshot

Schließlich gibt es kurz vor dem Finale auch endlich mal eine Einschränkung, dass man ab jetzt lediglich eine bestimmte Zahl an Datensätzen hochladen darf. Ich hätte mir schon vorher etwas mehr klassisches Rätselflair gewünscht, so dass ich als Ermittler direkter gefordert werde. Außerdem habe ich eine interaktive Übersicht vermisst, in der ich alle Profile auf einer Art digitalen Pinnwand ansehen und miteinander verbinden kann – so ähnlich wie die Beweise in Sherlock Holmes oder auch The Sinking City oder zumindest so wie auf dem PC mit den Beziehungen. Trotzdem darf man die finale Stärke dieses Storytelling-Experiments aus Hamburg nicht vergessen: Man muss es einfach durchspielen, weil das letzte Drittel so spannend ist und sich die Ereignisse überschlagen. Und nach diesem Spiel will man nochmal gerne mit den Leuten diskutieren, die gerne behaupten, dass man ja von der Datenüberwachung nichts zu befürchten hat, wenn man nichts verbrochen hat.

Kommentare

21 Kommentare

  1. Kann nur sagen, das Spiel ist wirklich gut, bin nun an der Stelle Spoiler "an der Symes ersetzt wird"
    Das aktuell kostenlose SIMULACRA (iOS) was mich seit zwei Tagen beschäftigt, schlägt in die gleiche Kerbe, Orwell ist aber noch ausgefeilter.

  2. Jup, solche reduzierten Adventures verlieren manchmal an der 4K-Breitbildanlage mit Power-PC und Präzisionsmaus ihren Reiz. Da erwartet man unbewusst immer mehr. Das ist natürlich das ideale Spiel fürs Tablet. Einfach irgendwo hinlegen und touchschmökern.;)

  3. ClassicGamer76 hat geschrieben: 31.03.2020 11:34 Bezüge auf Uplink kann ich kaum erkennen.
    Ich hatte Uplink angeführt wegen der Präsentation, die mich bei Uplink auch nicht störte und sogar faszinierte. Ähnlich schlicht kommt auch Orwell daher. Wollte damit nur ausdrücken, dass das für mich kein Makel ist.
    Uplink holt als “UI Game” jedoch viel mehr raus... war meine Meinung.
    Vielleicht hat Jörg aber auch recht und ich hab einfach zu früh aufgegeben.
    Hab’s auf PC gespielt.
    Vielleicht isses das perfekte Spiel für iPad + Badewanne? :lol:
    Vielleicht sollte ich es in der Kombination nochmal versuchen.

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