Ungenießbares Bier, böse Blicke und zwielichtige Gestalten – die Hafenstadt Kharé macht ihrem schlechten Ruf alle Ehre. Kaum bin ich da, werde ich betrogen und überfallen. Man kann scheinbar niemandem trauen, überall gibt es Hinterhalte oder Fallen. Hier tummeln sich Diebe und Sklavenhändler, Gaukler und Geister. Und was man alles entscheiden muss: Welche Route schlägt man ein? Riskiert man Kämpfe oder nicht? Schaut man vor dem Betreten eines Gebäudes erst durch Fenster, klopft man vorsichtig oder geht man forsch rein? Nutzt man diesen passiven oder jenen aggressiven Zauber? Wo schläft man? Selbst die Wahl der Taverne kann Auswirkungen haben!
Der Weg der Entscheidungen unterscheidet sich von dem rein chronologischen eines Mass Effect: Es geht nicht nur um A oder B und mach dann bei C weiter. Hier gibt es mit knapp 10.000 (!) Optionen nicht nur mehr Vielfalt, sondern auch mehr Ungewissheit innerhalb der Szenen. Man erfährt nicht immer sofort, welche Konsequenz die eigene Aktion nach sich zieht. Aber da muss ich durch: Schließlich bin ich auf der Suche nach der verlorenen Krone, die sich irgendwo im Norden des Landes befinden soll. Und den erreicht man nur
über diese verfluchte Stadt. Das Problem ist: Man hat die Nordtore geschlossen. Wieso, weshalb, warum? Wie kommt man dann überhaupt raus? Je nachdem, wie man sich im ersten Teil verhalten hat, ist man mit anderer Ausrüstung oder gar anderen Gefährten unterwegs.
Text als visuelles Stilmittel
Welche Schlüssel habt ihr erhalten? Habt ihr den Assassinen verschont? Dann wird euch „Flanker“ vielleicht auf der Suche so helfen wie mir. Auch diesmal sind solide Englischkenntnisse wichtig, damit sich die Stimmung der wirklich gut geschriebenen Texte in all ihren Nuancen entfalten kann. Im Gegensatz zu anderen interaktiven Lesebüchern wird der Text hier nicht klassisch auf Buchseiten zum Umblättern dargestellt, sondern vertikal in Häppchen eingeblendet, so dass ein angenehmer Lesefluss von oben nach unten entsteht – hier ein Beispiel einer kurzen Passage:
You follow Flanker across the top oft he dock. He moves fast, like a fleeting shadow, but somehow contrives to never disappear from your sight. He does not speak, and your attempts at conversation are met with immediate silence.
Dann zoomt die Ansicht von der Stadtkarte runter in eine Gebäudeperspektive, wobei das
Dach fehlt und die Architektur im Inneren sichtbar wird.
Finally, you arrive outside an ordinary-looking building. „This is it,“ he declares. “Wait here and I will go inside.” He disappears through the door.
Jetzt hat man die Wahl zwischen zwei Aktionen – es können manchmal ein halbes Dutzend sein:
Look over the house
Try the door
Interaktives Lektüre-Abenteuer
Das Besondere ist nicht nur, dass der Text kreativ als visuelles Medium genutzt wird, sondern dass die Spielwelt selbst grafisch dargestellt wird: Die handgezeichnete farbige Karte der Stadt Kharé ist zugleich ein Hilfsmittel und ein Hingucker. Man startet ganz unten links vor dem Südtor mit seiner gezeichneten Figur. Beim Hereinzoomen mit zwei Fingern kann man die Höhenunterschiede erkennen – ein toller visueller Effekt, der eine dritte Dimension vorgaukelt. Noch sehenswerter ist aber das Herauszoomen, denn dann zeigt sich die Größe der Stadt, die in zig Viertel wie „Fallen Quarter“ oder „Dwarftown“ unterteilt ist und durch deren Mitte der Fluss Jabaji rauscht. Und man sieht nicht alle begehbaren Orte, denn viele Gebäude werden als einzelne Karten erst später sichtbar – außerdem gibt es eine Kanalisation. Sobald man seine Figur vorwärts zum nächsten Ort bewegt, hinterlässt sie eine Spur mit Wegmarken. So kann man quasi zurücklaufen und das letzte Ereignis erneut spielen. Schade ist vielleicht, dass es keinen Hardcore-Modus gibt, bei dem man nur eine begrenzte Zahl dieser automatischen Sicherheiten bekommt.
Je nach Örtlichkeit ändert sich die Geräuschkulisse. Ist man in einer Taverne, hört man aber nicht nur Gemurmel und Gelächter. Beim neuen Würfelpoker „Swindlestones“ kann man auch mehr erfahren: Zwei Spieler werfen jeweils verdeckt fünf Würfel. Dann wetten sie, wie viele von welcher Sorte vorhanden sind und müssen sich dabei stets numerisch übertreffen. Du sagst, es sind drei Zweier auf dem Tisch? Okay, dann erhöhe ich auf drei Vierer! Das Ganze erinnerte an das preisgekrönte Brettspiel Bluff von Ravensburger. Und hier kann man nicht nur Gold gewinnen, sondern auch interessante Informationen über die Stadt. Diese werden dann als Hinweise gespeichert, so dass man sie später nachlesen kann.
Gibt es eine Chance, dass die Teile auch noch mal übersetzt erscheinen?
Hoert sich richtig gut an. Genau das, was mich mal wieder ansprechen koennte. Wie lang ist ungefaehr so die Spielzeit pro Teil?
Ich bin ein Fan von choiceofgames.com und da werde ich mir dieses Spiel gerne ebenfalls ansehen. Leider muss ich als Android-Nutzer noch eine Weile warten. Hach, dann sehe ich es eben als ein Weihnachtsgeschenk an mich selbst.