Beginnen wir mit einer steilen Hypothese: FMV-Games stellen die Krönung des Telespiels dar!
Ihr habt jetzt zwei Möglichkeiten:
FM-what? Was meint der ältere Herr?
>> Setzt euch zu mir im nächsten Abschnitt und lasst euch erzählen, von einer lange vergessenen Zeit, genannt: die 90er…
Ahahaha! Sowas wie Phantasmagoria? Ja, das war echt die Krönung… des Trashes!
>> Ja, sorry. Ich wollte nur eure Aufmerksamkeit. Gebt mir noch eine Chance im übernächsten Absatz.
Logikrätsel: Überholspur oder Sackgasse?
Die erwähnten Entscheidungen, die ihr für Haruka während der ersten Hälfte eines Spielkapitels treffen könnt, sind im Rahmen der Handlung kaum der Rede wert. Oft legt ihr lediglich fest, mit welchem Satz die Autorin auf eine Situation reagiert oder was sie im Stillen darüber denkt. Ab und zu sammelt ihr noch per Tastendruck eingeblendete Indizien für die spätere Ermittlung, ansonsten bleibt das Joypad ungenutzt. Ein bisschen spielmechanische Abwechslung gibt es zu diesem Konzept zwar im letzten Drittel, im Großen und Ganzen läuft The Centennial Case aber als ein linearer FMV-Krimi durch, an dessen Ablauf ihr wenig ändern könnt.
Erst nachdem ein Mord passiert ist, kommt Haruka als Ermittlerin ins Spiel: Dargestellt als Puzzle in zweckmäßiger 3D-Optik seht ihr jetzt die relevanten Rätsel des jeweiligen Falles als rote, sechseckige Frage-Tafeln: Womit wurde das Opfer getötet? Wer war zur Tatzeit anwesend? Was sagt uns der Tatort über den Hergang? Für jedes Rätsel gibt es mehrere Indizien, die ihr in Form weiterer Sechsecke um die roten Rätseltafeln herum anordnet. Passen die aufgedruckten Symbole, „schnappt“ das Puzzlestück ein und eine Hypothese in Form von Stichpunkten und zweckmäßigen Animationen liefert einen Lösungsansatz. So knüpft ihr eine Beweiskette aus Teilantworten, die letztlich zur Lösung des Falles am Ende eines Spielkapitels führen soll. An sich ein robustes Puzzle-Prinzip, das Detektivin Haruka liebevoll ihren „Pfad der Logik“ nennt. Leider kann die an sich clevere Indizien-Sause auch schnell in eine Sackgasse rauschen, denn…
In den ersten beiden Spieldritteln führt der „Pfad der Logik“ zu einigen der besten Sequenzen, die das FMV-Genre zu bieten hat. Alle Verdächtigen werden nach Agatha-Christie-Manier in einem Raum versammelt und Haruka präsentiert in einer dramatischen Argumentation den Täter. Die Entwickler haben sich hier offenbar Inspiration von den Schlussplädoyers der Phoenix Wright-Visual-Novels geholt. Und das ist gut so, denn jetzt bekommen eure Entscheidungen kurzzeitig richtig Gewicht: Untermalt von einem zunehmend intensiven Soundtrack müsst ihr zwischen richtigen und falschen Schlussfolgerungen wählen und klug auf die Ausflüchte in die Enge getriebener Verdächtiger antworten, bis ihr den Mördern den Beweis ihrer Untat triumphierend entgegenschleudert. Wählt ihr eine falsche Option, fällt Harukas coole Detektivshow in sich zusammen, sie wird zu Kirmes-Musik ausgeschimpft und muss zurück zum „Pfad der Logik“. Ein echtes Game Over gibt es nicht, aber der Bruch der Immersion und die zeitfressende Ehrenrunde sind Strafe genug.
Apropos Strafe: Im letzten Spieldrittel verüben die Logik-Puzzlesequenzen einen feigen Anschlag auf euren Spielspaß, der den Gesamteindruck der Shijima Story eintrübt. Nach einer überraschenden, aber langwierigen Escape-Room-Einlage muss Haruka den hundertjährigen Kriminalfall final lösen und in einer epischen Deduktionsschlacht die Indizien aus mehreren Jahrzehnten und Erzählebenen zusammentragen. Leider geht der Puzzlemechanik genau an diesem narrativen Höhepunkt die Puste aus, weil sie sich nicht an die zunehmende Komplexität der Ermittlung anpasst. Egal, ob logischer Fehlschluss oder wichtiger Beweis: Die Puzzlestücke klicken, wenn ihre Symbole zusammenpassen. Das hilft euch kein Stück, die auf den Sechsecken angebrachten Hinweise sinnvoll zu strukturieren. Die optionale „Geistesblitz“-Mechanik, mit der ihr relevante Puzzlestücke aufleuchten lassen könnt, bringt nur bedingt Erleichterung. Irgendwann nutzt sich das immergleiche Puzzlespiel schlicht ab, so dass vor dem erzählerisch durchaus befriedigenden Finale eine spielmechanisch ermüdende Tour de Force liegt.
Und so ist es extrem selten geworden, dass Spieldesigner auf abgefilmte Sequenzen setzen. Auch Sam Barlows preisgekrönter Video-Krimi Her Story löste 2015 keine Trendwende aus.
Das vergleichsweise riesige FMV-Revival - hauptverantwortlich dafür: Publisher Wales Interactive - dürfte an Max komplett vorbeigegangen sein. Einige der FMV-Games der letzten Jahre:
Bloodshore
Dark Nights with Poe and Munro
Death Come True
Five Dates
Fuuraiki 4
I Saw Black Clouds
Immerse Land
Late Shift
Night Book
She Sees Red
Summer Sweetheart
Telling Lies
The Bunker
The Centennial Case - A Shijima Story
The Complex
The Dark Side of the Moon - An Interactive FMV Thriller
The Infectious Madness of Doctor Dekker
The Shapeshifting Detective
Who Pressed Mute on Uncle Marcus
Late Shift, The Shapeshifting Detective und The Infectious Madness of Doctor Dekker (Fun Fact: Guinness World Record for Most Full Motion Video in a Videogame at 7:11:58) haben mir sehr gut gefallen; The Complex war auch recht spannend. Außerdem gab es noch Remaster der mehr oder weniger trashigen Titel:
American Hero
Corpse Killer
Double Switch
Dragon's Lair
Night Trap
Und die kontroverse Serie "Super Seducer" gehört eigentlich ja auch zu den FMV-Games.
Der_Pazifist hat geschrieben: ↑24.05.2022 19:15
@Matthias & Max: Oha, die MAN!AC DVD in den mittleren Nullerjahren! Ich kenne die Rubrik leider nicht mehr namentlich, aber die humorvollen Auftritte der Redaktion habe ich (fast) immer gefeiert.
Das ist mehr als wir je erwarten konnten anyMAN!AC hießen die Albernheiten
anyMAN!AC, richtig. Danke Ich hatte gestern noch halbherzig das Netz abgesucht, aber unter MAN!AC nur Rückblicke u.ä. gefunden. Mit anyMAN!AC klappt es besser und sofort eine meiner Lieblingsparodien gefunden "The Twin Sepps", herrlich
Einige der FMV-Games der letzten Jahre:
Außerdem gab es noch Remaster der mehr oder weniger trashigen Titel:
Ich hatte gestern noch halbherzig das Netz abgesucht, aber unter MAN!AC nur Rückblicke u.ä. gefunden. Mit anyMAN!AC klappt es besser und sofort eine meiner Lieblingsparodien gefunden "The Twin Sepps", herrlich
Und: nein, nein. Eher 4Players 2.0
Wird ja langsam eine Maniac 2.0 hier.