Meister der Jumpscares
Es ist zum Verzweifeln: Selbst wenn ich weiß, dass gleich aus dem Dunkel ein Zombie auf mich zustürmt, muss ich doch wieder eine Schrei ausstoßen. Jedes. Einzelne. Mal. Meine Nachbarn mögen es mir verzeihen. Schuld an der Ruhestörung hat schließlich Supermasssive Games, die Macher von Until Dawn und bereits vier The Dark Pictures-Titeln. Das Studio scheint irgendein in Code gegossenes Geheimrezept zu kennen, das mich in seinen VR-Spielen in ein kreischendes Schulkind verwandelt. Fast jedes andere VR-Horrorspiel lässt mich deutlich kälter, doch schon der Vorgänger Until Dawn: Rush of Blood brachte meine Pumpe regelmäßig auf Hochtouren.
Umso erfreuter war ich, als endlich ein Nachfolger zum PSVR-Geheimtipp angekündigt wurde, mit neuem erzählerischen Rahmen, frischer Grafik und allerlei coolen Haptik- und Eye-Tracking-Tricks. Wie im Vorgänger sitze ich in einer übersinnlichen Achterbahn, um mich zweihändig mit Pistolen und Extrawaffen durch die „Shooting Gallery“ voller wild gewordene Monsterhorden zu ballern. Eine freie Bewegung gibt es also nicht. Ein kompletter Durchgang bleibt mit drei Stunden recht kurz. Der Aufbau erinnert an alte Lighgun-Shooter wie Segas The House of the Dead. Eine Warnung gleich vorweg: Bei mir ließ sich das Spielende aufgrund eines Bugs nicht ordnungsgemäß abschließen – mehr dazu am Ende des Artikels…
The Dark Pictures als VR-Achterbahn
Als Vorlage dienen diesmal die ersten vier Geschichten der hauseigenen Horror-Adventures der The Dark Pictures Anthology. Nach einem Massaker in einer entgleisten, brennenden U-Bahn werde ich in zahlreiche Schreckensszenarien voller übernatürlicher Phänomene wie Blutseen oder Folterquader versetzt. Da ich die Vorlagen nicht gezockt habe, sind mir vermutlich einige Anspielungen entgangen, die die Alptraum-Level zu einer übergeordneten Handlung verbinden. Eine wichtige Rolle spielt dabei die besessen anmutende Laila vom Cover. Sie stellt sich mir im Laufe des Abenteuers immer wieder in den Weg oder flüstert mir nach dem Ableben mitleidige Liebesgrüße ins Ohr.
Gute Voraussetzungen also für eine manische Ballerfahrt, deren Stimmung auch von kreischenden Synthesizern und unheimlichen Glockenspielen transportiert wird. Die Achterbahn schlängelt sich durch höllische Höhlen, brennende Kultstätten, über verfluchte Geisterschiffe sowie durch das World’s Fair Hotel mit einem sadistischen Serienmörder. Die Abwechslung ist erfreulich groß, zahllose Fieslinge rücken mir hier umgehend auf die Pelle. Das wandelnde Gruselkabinett reicht vom torkelnden Zombie mit platzfreudigem Haupt über erratisch zuckende Horrorpuppen bis hin zum stechwütigen Robo-Doktor mit fragwürdigen Hygienevorstellungen.
Feuern für die Kombo
Aber auch alles, was doch niet- und nagelfest ist, wird nützlich: Die Dekorationsdämonen haben beispielsweise an jeder Ecke Schädel auf okkulte Stangen genagelt. Auf Flaschen, Kisten und anderen Krimskrams zu schießen, hilft dabei, die Kombo am Laufen zu halten. An mancher Ecke ist gutes Timing gefragt, um nicht zu lange gewaltfrei zu bleiben. Da selbst der höchste Schwierigkeitsgrad noch gut machbar bleibt, spielt hier die Highscore-Jagd die wichtigste Rolle. Die zahlreichen alternativen Abzweigungen schaffen dabei Langzeitmotivation! Schade ist allerdings, dass die Weltranglisten (allgemein und für Freunde) nur rudimentär einsehbar sind, statt frei scrollbar. Dennoch ist es motivierend, bei späteren Anläufen für eine höhere Punktzahl immer mehr Untote und leblose Gegenstände in einem der Levels zu erwischen. Bevor diese zugänglich werden, steht aber erst einmal der Story-Part auf dem Programm, dessen Durchspielen allein schon gut unterhält. Wer mit Rail-Shootern nichts anfangen kann, ist hier natürlich fehl am Platz. Mir hingegen hat es Spaß gemacht, immer wieder das richtige Timing zu finden, um Köpfe platzen zu lassen, Fledermausschwärme abzuwehren oder mich mit zähen Bossen zu duellieren.
Ein kleines Highlight sind die bereits erwähnten Zimmer mit der in Blut geschriebenen Warnung „Don’t blink“. Nachdem mein Wagen anhält und sich die Türen schließen, kommen einige nackte Schaufensterpuppen langsam aber sicher zu mir heran. Nach jedem Schließen meiner Augen sind sie mir plötzlich näher als mir lieb ist, bis sie schließlich zu einer Attacke ansetzen. Die Mechanik ist ein wirklich schöne Idee. Sie zwingt mich tatsächlich kurzzeitig zu einem guten Timing beim Schießen, Nachladen (per Knopfdruck oder Geste) und sogar dem Benetzen meiner Augen. Leider kommt die Mechanik nur in wenigen Momenten zum Einsatz und bleibt somit vorerst eher ein Gimmick. Wie wäre es mit einem DLC voller perfider Eye-Tracking-Passagen?