Games made in Chile
„Ungewöhnlich“ heißt nicht automatisch „gut“, es gibt reichlich schrullige Indiegames, die ihre Kreativität mit technischen Unzulänglichkeiten oder unausgereiften Mechaniken ausbremsen. Nicht so beim chilenischen Studio ACE Team, gegründet und geleitet von den drei Bordeu-Brüdern. „ACE“ weil Andres, Carlos und Edmundo. Das in Santiago de Chile beheimatete Entwicklerhaus hat schon mehrfach abgeliefert: mit den beiden extravaganten Ego-Brawlern der Zeno-Clash-Reihe und den wilden Tower-Defense-Kugelrennspielen Rock Ages 1-3. Diese ACE-Games paaren extravagante Optik und ein kühnes Weltendesign mit kreativen Mechaniken, die en gros gut funktionieren. Mit The Eternal Cylinder drehen die Bordeus noch einmal an der Verrückheitsschraube: Als Spieler befindet man sich in einer urzeitlich anmutenden, wilden Landschaft, die von einem bis in die Unendlichkeit reichenden, riesigen Metall-Zylinder kaputtgewalzt wird. Es gibt kein Entkommen. Man kann nicht darüber hinwegfliegen, nicht darunter durchkriechen, es gibt keine Lücken und Ritzen – nur die unausweichliche Vernichtung der kompletten Landschaft samt aller darin hausenden Lebewesen.
Weil im Startmenü ein „Ja sorry, dann weiß ich auch nicht“-Button fehlt geht man dieses aussichtlose Unterfangen an – und zwar mit einem, nicht sonderlich hübschen, kleinen Rüsseltier mit Stummelbeinchen und fleckiger Haut. Einem sogenannten Trebhum. Der watschelt durch die Welt und muss vor der Walze fliehen – am besten in Richtung eines Turmes, denn immer wenn der tödliche Zylinder an einer Reihen von hohen Türmen anstößt, hält er erstmal inne. Der Trebhum kann hopsen und schnell rollen, und er kann mit seinem Rüssel Dinge aufsaugen und wieder ausspucken. Ganz anders als bei Kirby gibt es keine simple „Gegenstand X sorgt für Verwandlung X“-Mechanik, ACE Team hat ein komplexes System aus Ressourcen, Mutations-Items und Trebhum-Kreuzungen implementiert, das euch das Überleben in dieser haarigen Situation ermöglicht. Das klingt kompliziert, und ist es auch – dank vieler Tutorials, langen Text-Erklärungen in den Menüs und einem ausführlichen Evolutions-Diagramm ist das alles aber machbar und mit vergleichsweise unkompliziertem Spielspaß vereinbar. Man muss weder Hobby-Evolutionsbiologie, noch Hardcore-Survivalfan sein, um mit The Eternal Cylinder Spaß zu haben. Stattdessen verwebt das Spiel seine Überlebens- und Crafting-Mechaniken mit Plattforming-Elementen, einige Rätseln und einer gehörigen Prise Story.
Nicht der Einzelne zählt
Motiviert von der sonoren Stimme des englischen Erzählers ringt man der absurden Spielwelt nach und nach ihre Geheimnisse ab. Man lernt, welche Ressourcen man sammeln und verarbeiten sollte, womit man den ständigen Hunger seiner Bande stillt, wie man weitere Trebhums für die Gruppe gewinnt oder sogar an speziellen Portalen parkt. Man findet heraus, welche Team-Zusammenstellung optimal ist – manchmal braucht es einen muskulösen Hüpfer, einen schnellen Läufer oder einen Stein-Verarbeiter. An anderer Stelle kommt ihr ohne einen Schützen, einen Quadratschädel, einen Schwimmer, einen Gift-Filterrüssel oder einen leuchtenden Trebhum nicht weiter. Manche Evolutionen sind superleicht zu bekommen, andere erfordern akribisches Kombinieren von Ressourcen und Evolutions-Items. Mitunter stirbt ein Schützling, das schmerzt – ist aber für das Überleben der Spezies nicht dramatisch.
Das Aufgaben-Potpurri in The Eternal Cylinder ist gewaltig: In verwinkelten Tempelanlagen baut man leuchtende Edelsteine ab, sucht nach dem Ausgang, aktiviert Botschaften von Vorfahren und löst anspruchsvolle Schalter- und Plattform-Rätsel. Wieder an der Oberfläche sucht man Eier, um an Brutstationen neue Trebhum auszubrüten, oder legt sich mit gigantischen Kreaturen an. Stellt euch auf einige denkwürdige Begegnungen ein, mit am einprägsamsten ist eine Mischung aus Mensch und Oldtimer (!), dessen Scheinwerferlicht bei euren Trebhum einen Verlust ihren evolutionär erworbenen Vorteile auslöst. Wow! Ohne an dieser Stelle irgendetwas zu verraten: Ihr lernt im Verlauf der durchaus 20 Spielstunden viel über dieses Land und dessen Kreaturen, trefft mythische Wesen und erfahrt auch einiges über den unendlichen Zylinder.
Nicht perfekt, aber motivierend
An einigen Stellen ist das Spiel unnötig sperrig, könnte seine Mechaniken ruhig durchschaubarer gestalten oder den Evolutionsbaum im Menü übersichtlicher halten, zudem ist die Steuerung nicht ideal. Es passt zu den ulkigen Wesen, dass sie sich nicht präzise wie Super Mario steuern, an etlichen Stellen habe ich mich trotzdem über vermeintliche vermeidbare Tode geärgert. Das Speichersystem ist im Allgemeinen recht nachgiebig, das Abspeichern und Zurückholen meiner Trebhums über Portale fand ich aber nicht zuverlässig genug, um mich darauf zu verlassen – im Zweifelsfall habe ich lieber nochmal reingeladen, wollte ich ein liebgewonnenes Wesen ganz sicher nicht verlieren. Zudem ist auch die Menüführung beim Trebhum-Portal ziemlich bescheiden. Trotz der aussichtslosen Gesamtsituation, vielen tödlichen Feinden und etlichen nervenaufreibenden Fluchtversuchen vor der glühenden Metallwalze, gibt euch The Eternal Cylinder auch Zeit, um in Ruhe Ressourcen zu sammeln oder die üppige Flora und Fauna zu bewundern. Hauptverantwortlich dafür ist die Start- und Stop-Mechanik des Zylinders: Wie oben erwähnt wird sein tödlicher Fortschritt von hohen Türmen aufgehalten – erst wenn man mit seinen Trebhum einen farblich markierten Bereich betritt, walzt der Stahlkoloss wieder los.
Trotz fixer Story-Ereignisse und händisch modellierter Rätselhöhlen sind die Landschaften selbst prozedural generiert, das Land auf meiner PlayStation ist dem auf eurer Konsole also vermutlich ziemlich ähnlich, die teils anspruchsvollen Wege um Seen herum oder auf schmalen Brücken über eine Giftgas-Schlucht sind aber immer wieder anders. Ich hatte The Eternal Cylinder bereits im Ende 2021 auf PS4 durchgespielt, und mich über manche Ruckeleinlage geärgert. Auf PS5 sind mir die nicht untergekommen, zudem ist die Grafik schärfer und ein bisschen detaillierter, im Menü darf man sogar Raytracing aktivieren. Ein Technikwunder ist das Spiel aber trotzdem nicht.
Na dann werde ich mir das doch mal ankucken, denke ich.
Und ja, mega Album
@of truth and sacrifice (geiles Album btw)
Ich habs kürzlich erstanden und bin noch nicht ganz, aber fast durch - denke ich. Die Steuerung ist tatsächlich gelegentlich hakelig, aber daran habe ich mich schnell gewöhnt. Es gab bisher nur eine Stelle, die ich tatsächlich als Sprungpassage bezeichnen würde und die hätte man zweifellos besser gestalten können. War aber kein Beinbruch. Hatte da vielleicht 4-5 Fehlsprünge und davon wenigstens zwei, weil ich dumm und ungeduldig war. Wirklich nicht schlimm. Es gibt keine unfairen Stellen im Spiel und Stürze überstehen die Knödel völlig unbeschadet.
Wie im Test beschrieben sind die Trebhums etwas schwerfällig und ab und zu geht ein Hopser als Rollmops (man kann sich einrollen um schneller voranzukommen) mal in unerwartete Richtungen. Das habe ich aber immer gnädig als Eigenart der Spezies empfunden und nie als unverzeihlichen Fehler im Steuerungsdesign.
Ich bin so froh, dass es dieses Studio gibt. Zeno Clash 1 und 2 habe ich jeweils zum Release gespielt und war jedes Mal sofort verzaubert. Bei jedem neuen Release bin ich eher skeptisch und dann kriegen sie mich doch irgendwie mit ihren Ideen. Auch wenn ich nie so ganz warm mit Rock of Ages geworden bin.
Dieses neue, anstehende Zeno Clash, das etwas anders als 1 und 2 werden wird, weiß ich auch noch nicht so recht einzuordnen und die Demo hat sich nicht sehr gut angefühlt. Aber ich werds sicher trotzdem kaufen und irgendwas daran lieben und sei es für die Hoffnung, dass da noch viele weitere weirde Spiele aus Chile kommen.
Das Spiel sieht mega interessant aus. Ich wage mich nur zu erinnern, in einem YT-Review gehört zu haben, dass die Steuerung z.T. etwas hakelig sein soll (v.a. während Jump-and-Run-Passagen). Matthias hat dies ja auch im Test erwähnt. Die Frage ist nur, wie nervig das ist. Kann da jemand evtl. noch was dazu sagen?
Ansonsten gibt es das derzeit für nen 10er im PS-Store. Wäre ne Überlegung ...
Schon irgendwie lustig, daß das "geniale Zeno Clash" hier 40 Punkte schlechter abgeschnitten hat. Danke für den Test und den Hinweis auf Zeno Clash, vielleicht schaue ich es mir doch noch an.