Träge Zauberkugel
Zudem fühlt sich einiges schwammig an. Der Junge ist zu Fuß nur in einem trägen Tempo unterwegs, hat unpräzise Sprungabfragen und versinkt manchmal im Boden, obwohl über ihm ganz klar eine Textur zu sehen ist. Hinzu kommt eine zickige Kamera, die ständig hinter Mauern oder Hindernissen verschwindet. Obwohl temporäres Grübeln in der Umgebung zu diesem Genre gehört, gibt es auch unnötig unklare Situationen: Soll man hier klettern, weil sich der Junge doch da hoch ziehen kann? Wieso geht es dort nicht weiter, obwohl der Vorsprung überwindbar wäre? Ist diese Wetterfahne jetzt manipulierbar? Warum kann die Krähe da landen und dort nicht? Wieso kann man dieses Tor aufschieben, das andere nicht? So können manche Rätsel unnötig in Trial&Error ausarten, obwohl sie durchaus logisch aufgebaut sind. Oder man stürzt ohne Grund und muss aufgrund fehlender manueller Speicherpunkte zurück zum letzten Levelanfang. Rime bot im direkten Vergleich sowohl besser verknüpfte Rätsel als auch eine klarere Architektur, die hier als interaktives Element überhaupt nicht richtig zur Geltung kommt.
Meist muss man von A nach B und dabei Hindernisse überwinden oder die Gestalt wechseln. Immerhin sorgt die goldene Zauberkugel für Abwechslung: Sie ist nicht nur der einzige Ort, an dem aus der Krähe wieder ein Junge werden kann. Wer sie bewegt, kann auch zerstörte Areale im Vorbeirollen kurzfristig wiederherstellen. Aber auch das träge Bewegen nervt
irgendwann – man rollt sie langsam wie ein Mistkäfer vorwärts, bekommt dabei die Hilfe anderer namenloser Jungen, die ohne Zusammenhang plötzlich auftauchen. Mal helfen sie sofort mit, mal stehen sie herum. Je mehr Leute man dabei hat, desto größer wird letztlich der Bereich, den die Kugel nach einem Rufbefehl wieder restaurieren kann. Und sie da: Die mächtige Brücke über das Tal setzt sich wie von Zauberhand zusammen!
Seltene Wow-Effekte und schwaches Finale
Aber das sind seltene Wow-Effekte, zumal das von den Entwicklern angekündigte Bedrohliche nur einmal wirklich so visualisiert wird, dass man zu einer Flucht animiert wird. Ansonsten bleibt es lediglich bei düsteren Arealen in der Peripherie, die einfach tabu sind und den Helden aufhalten bzw. sterben lassen sowie einem Zentrum der Erkundung. Es gibt keinerlei Überraschungen in einem stes gleichen Rhythmus. Gerade im Vergleich mit Journey, das über so viele Stimmungen, kleine Veränderungen und dazu passende Aktionen eine Geschichte erzählt, wirkt diese ähnlich konzipierte Dramaturgie im besten Fall bemüht. Das wird vor allem vor dem Finale deutlich, wenn man einfach stoisch Türme hinauf klettern muss…
Zu den Problemen hinsichtlich Technik, Steuerung und Spieldesign gesellen sich auch die unpersönliche Charakterzeichnung sowie die schwache Story: Konnte man in ICO eine emotionale Bindung aufbauen, weil man mit Junge und Mädchen mitfieberte, ist einem dieser gesichtslose Held egal. Er wirkt wie ein Bot oder ein Statist in einem Musikvideo. Auch deshalb, weil man ohne etwaige Erklärung oder Beziehung von anderen robotischen Jungen begleitet wird, während Krähenmänner irgendwo im Hintergrund irgendwelche Türen schließen. Zwar erzählen Friend & Foe über diese Antagonisten letztlich eine Geschichte, in der sich ein Kreis schließt, aber man erlebt ein über weite Strecken langweiliges und brüchiges Abenteuer, das einen nach fünf Stunden mit einem schwachen Finale ernüchtert auf der Couch zurücklässt.
Wirklich schön gesagt von Dir!
Prozentwertungen sind ja schon ziemlich konkret (58% oder doch 59%). Aber ich verstehe schon, dass muss sein. Das wollen die Leser.Das drückt zumindest das aus, was ich mir von einem Review erwarte. Das eigentliche "Glück" der Tester liegt ja darin, dass Sie meistens die ersten sind, die ein Spiel bewerten. Die "Leser" können beim lesen meist gar nicht beurteilen ob das alles so stimmt. Da ist natürlich Vertrauen sehr wichtig.
Mittlerweile lese ich Reviews immer nachdem ich ein Spiel selbst angespielt habe. Quasi zur Kontrolle, ob ich der Seite noch glauben kann. Ich habe einfach bemerkt, dass ich viele Spiele, die mir sehr viel Spass machen gar nicht (oder zu spät) angerührt habe, weil sie eine 50-70er Wertung erhalten haben und ich ganz oft dachte, nene lass mal die Finger von. Das war dann aber im nachhinein sehr Schade, da ich so einige meiner Lieblingsspiele fast verpasst hätte.
Na dann, gutes gelingen!
Das ist die große Kunst auf der Kritikerseite: Kann man die Seele eines Spiels überhaupt erkennen? Und falls ja: Kann man auch begründen, warum sie einem so hässlich oder faszinierend erscheint?
Ich merke das recht schnell, ob jemand nur an der Oberfläche beschreibt. Manchmal lässt sich das in diesem Job nicht verhindern, vor allem wenn man zu wenig Zeit hat oder sich einfach zu viel zutraut. Ein Spieletest kann zu einem Boss mutieren, dem man einfach mit der falschen Taktik oder zu wenig Aufmerksamkeit begegnet. Dann cheaten viele beim Schreiben genauso aus Bequemlichkeit wie der Designer beim Coden. Ich werde das nochmal ausführlicher in einer Reihe erläutern.
Jedenfalls kann kein Spieletest absolut sein, alle sind immer relativ. Es gibt ja keine "Wertungswahrheit", im Idealfall nur zig scharf formulierte Meinungen. Die meisten Tests sind noch austauschbarer als generisches Spieldesign. Die wenigen richtig guten Tests erreichen einen hohen Grad an analytischer Subjektivität bei stilistischer Ausdruckskraft. Sie machen den Standpunkt, das Abtauchen und das Auftauchen der Wertung mit allen Pros und Kontras klar verständlich und das Spielerlebnis wird beim Lesen "nachfühlbar".
Wir haben ja noch Zeit zu üben.
Danke für Deine Antwort!
Ich denke Bequemlichkeit ist da das falsche Wort, wo doch fast alle Spielenetwickler (besonders Indie) unterbezahlt arbeiten. Die müssen halt auch wirtschaftliche Entscheidungen fällen. Wie eigentlich jeder.
Das mit dem analysieren von anderen Spielen und Konzepten ist natürlich verständlich und klar. Mein Argument ist lediglich, dass gerade in Reviews punktuelle Features anderer Spiele "gewollt" werden, über die sich der Reviewer vielleicht 5 sec Gedanken gemacht hat. Die Entwickler machen sich natürlich Stunden, Tage und Wochenlang Gedanken und haben vermutlich viel bessere Gründe ein Feature nicht einzubauen.
Das mit der "Seele" hast Du schön gesagt. Leider ist es aber auch so, dass auch Spieletester nicht immer die Essenz eines Spiels erkennen. Die wie Du sagst "Seele" begreifen.
Gerade weil Sie so sehr viele Spiele spielen und auch eigentlich gar keine dafür Zeit haben oder sich nehmen. Daher finde ich, sollten Reviews viel mehr Selbstreflexion über die eigenen Erwartungen haben (die das Spiel vielleicht gar nicht erfüllen will!) und nicht so absolut sein. Denn im Grunde ist ein Review nur ein Eindruck von einer einzelnen Person. Leider haben Sie viel mehr Bedeutung (gerade von großen Magazinen) als eine einzelne Person eigentlich haben sollte.
Man sehe sich doch nur die beliebtesten Spiele auf Steam an. Das sind doch meist Titel aus dem 70-80 Regionen. Die ganzen Platin und Gold Spiele (außer AAA) sind meist nicht die meist gemochten Spiele der Spieler (Subnautica,...).
Das ist natürlich die Sicht der Entwickler. Die haben immer gute Gründe. Ich sehe dann beim bewussten Weglassen oder auch Kopieren von Dingen oftmals wenig große Kunst, sondern große Bequemlichkeit, damit das Spiel schneller fertig wird.
Und vertu dich nicht: Fast alle Entwickler, mit denen ich in all den Jahren gesprochen habe, vergleichen alles und jedes vorhandene Spiel mit dem eigenen Projekt. Der Wettbewerb wird komplett analysiert, je größer das Studio desto genauer. Aber selbst die kleinen Teams schauen sich genau an, was um sie herum passiert. Ich sage nicht, dass das immer gut ist, aber manchmal hilft es, weil man sich Kompetenz aneignet.
Als Daedalic z.B. eigene Adventures konzipierte, hat man ALLE Klassiker des Point&Clicks quasi dechiffriert - das war eine gute Basis für eigene Spiele. Was ich sagen will: Nicht die Spielekritik sorgt dafür, dass Entwickler sich in eine Spirale des konventionellen oder bekannten Designs begeben - das tun sie aus vielen Gründen wie Recherche, Enginezwänge, Designziele, Zielgruppenanalyse oder Umsatzwünsche selbst.
In der Wertungsfindung geht es dann meist gar nicht darum, dass etwas im spielmechanischen Vergleich "fehlt", sondern dass die Entwickler einen Nerv nicht treffen. Selbst wenn wir etwas erwähnen oder Kleinkram mal aufzählen, sind das nur Mosaiksteine, die zu einem Spielgefühl führen. Ob Traglast in einem Rollenspiel drin ist oder nicht, wird vielleicht erwähnt, ist aber völlig bedeutungslos, wenn es keine Seele hat.
Die Spieler "raffen" es dann aber meist nicht, dass das Feature nun mal gar nicht zum Spiel passt bzw. viel besser ohne dieses funktioniert. Spiele sind viel komplexer als das Spieler wirklich alle Zusammenhänge aus Designprozess und Mechaniken vollends verstehen.
Einfaches Beispiel: Spieler wünscht sich eine "Traglast" im Inventar und meckert rum, dass es keine gibt. Doch der Designer hat sich etwas viel besseres ausgedacht. Er hat einfach die Anzahl der mitzunehmenden Items limitiert. Das ist viel einfacher (weil man nicht rumrechnen muss um jedes Gramm) für beide und ist im Prinzip genau die selbe Mechanik.
Ich wage sogar zu behaupten, dass wenn man zu viel vergleicht, man sich und die Designer in eine Spirale bewegt wo die Designer immer alle Features...