Fan-Verwirrung
Langjährige Fans sind etwas Feines: Sie kaufen Spiele zum Vollpreis am Launchtag, stehen auch in schwierigen Zeiten zu einer Marke und leisten sich Sammler-Editionen, Merch oder Soundtracks. Doch sie können auch anstrengend sein: Vielfach sind sie nicht gerade offen für Veränderungen (Hallo, DmC!) oder kennen sich mit der Materie eben so gut aus, dass sie Fehlentwicklungen oder Abzocke zehn Meter gegen den Wind wittern.
Im Fall von Wonder Boy haben Retro-Kenner bestimmt mitbekommen, dass Mitte 2022 bereits eine „Wonder Boy Collection“ (PS4, Switch) erschienen ist – mit vier alten Episoden in verschiedenen Versionen, technisch blitzsauber aufbereitet vom japanischen Entwickler Bliss Brain. Das Spiel gibt es digital oder auf Datenträger, 30 Euro werden dafür fällig. Und jetzt steht plötzlich die „Wonder Boy Anniversary Collection“ (PS4, PS5, Switch) vor der Tür – mit zwei zusätzlichen Retro-Teilen im Paket – ,die online oder verpackt 50 Euro kostet. Oder je nach Version beim deutschen Shop Strictly Limited Games schon ausverkauft oder bis zu 150 Euro teuer ist. Wer im Vorjahr bereits im Shop zugegriffen hat, der kann sein Spiel leider nicht mit den zwei zusätzlichen Spielen digital upgraden – und das dürfte eben manchem langjährigen Fan missfallen.
Technik & Ausstattung
Betrachtet man jedoch die Wonder Boy Anniversary Collection, die sich mir hier zum Test vorstellt, als einzelnes Produkt, dann überwiegen die Pluspunkte ganz deutlich. Die Oldies wurden von Bliss Brain astrein emuliert, laden in Bruchteilen von Sekunden und kommen mit haufenweise Komfort-Features daher: Ich kann Bildformat, Bildgröße und Hintergründe einstellen – und per Schultertaste in verschiedenen Geschwindigkeiten zurückspulen, um Fehler ungeschehen zu machen. Dazu gibt es sechs Speicherslots pro Titel und Version sowie einen penibel einstellbaren CRT-Filter inklusive Röhrenkrümmung. Geradezu spektakulär finde ich die Level-Maps, die bei allen Teilen und in allen Fassungen enthalten sind – da hat sich jemand richtig Mühe gegeben. Und ich kann mir entspannt, übersichtlich und per Zoom auch im Detail anschauen, wie schlauchartig oder verwinkelt die Designer die Stages gebaut hatten.
Ebensfalls richtig klasse finde ich die verschiedenen Versionen pro Titel: Hier gibt es nicht nur technisch überlegene Arcade-Originale, sondern auch die abgespeckten Game-Gear-Ports oder Master-System-Versionen. Ein kleines Paradies für Retro-Archäologen! Spielerisch grausig z. B. ist die Version des Ur-Wonder Boy für das SG-1000, Segas erste Konsole überhaupt. Trotzdem toll, dass ich mir selbst ein Bild davon machen kann. Eine penible Übersicht, welcher Titel in welcher Fassung am Start ist, findet ihr auf der offiziellen Hersteller-Seite. Beispielhaft möchte ich aber noch den Hüpfspiel-Shoot’em-Up-Hybrid Wonder Boy 3: Monster Lair nennen, der als Arcade- und Mega-Drive-Fassung beiliegt. Oder den zweiten Serienteil Wonder Boy in Monster Land, den es in der Collection als japanische und westliche Arcade-Version sowie als Ports für das japanische Sega Mark 3 und dessen Export-Version, das Master System, gibt. Hinter dem Menüpunkt „Galerie“ wiederum verbirgt sich eine Vielzahl von Artworks, Skizzen, Titelbildern, Flyern und Anleitungen – man findet exklusive Soundtrack-Cover, wunderschön colorierte Original-Artworks, erkennt wie das Titelbild von Monster World 4 entstand und kann in viele alten Anleitungen bis aufs kleinste Details heranzoomen. So muss das sein!
Im Westone nichts Neues?
Sechs Spiele stecken in der Anniverary Collection: Wonder Boy, Wonder Boy in Monster Land, Wonder Boy 3: Monster Lair, Wonder Boy 3: The Dragon’s Trap, Wonder Boy in Monster World sowie Monster World 4. Diese Titel erschienen im Zeitraum von 1986 bis 1994. Neuere Ableger oder Remakes wie Cursed Kindom, Wonder Boy Returns oder Asha in Monster World sind nicht dabei. Damit – hier sind wir wieder bei den „echten“ Fans, die das vielleicht schon erkannt haben – entspricht die neue Collection im Großen und Ganzen dem Japan-exklusiven PS2-Titel „Sega Ages Vol.29: Monster World Complete Collection“. Dort gab es den ganzen Bums allerdings „nur“ in 16 Versionen und natürlich nicht in knackscharfer Full-HD-Auflösung.
In spielerischer Hinsicht muss ich differenzieren: Der Erstling ist arg simpel gestrickt, doch schon Teil 2 streckt seine Finger in Richtung Action-Rollenspiel aus und war in gewisser Art wegweisend für die damalige Zeit – gleichzeitig ist vor allem das Leveldesign sehr repetitiv und auch das Kämpfen fühlt sich wegen der geringen Reichweite nicht sehr befriedigend an. Monster Lair dagegen spielt sich auch 2023 noch richtig frisch: Die launige Mischung aus Hopsen und Ballern ist bunt, fröhlich und herrlich unkompliziert. Die Episoden 4 und 5 verfeinern das mit dem zweiten Teil eingeführte Konzept: Teil 4, The Dragon’s Trap, kann man auch heute noch gut zocken – die Lobeshymnen von anno dazumal sind freilich schwer nachzuvollziehen, vergleicht man den Titel mit heutigen Genre-Vertretern. Mir persönlich sagt Teil 5 – 1991 fürs Mega Drive erschienen – mehr zu, was vermutlich auch an der Grafik liegt. Die PC-Engine-Ports der beiden letztgenannten Serienteile sind übrigens nicht Teil der Sammlung. Mein optisches wie spielerisches Highlight ist das 1994er Monster World 4: Der Titel sieht immer noch unverschämt charmant aus – wer sich auf das Durchschreiten vieler vieler Türen einlassen kann, der erlebt ein schmuckes Action-Abenteuer mit Charme und Anspruch.
Warum sind auf dem Coverbild eigentlich zwei identische dieser schweinsnasigen rosa Drachen abgebildet?
Versteht man das auch nur, wenn man Fan ist?
Kann mich nicht einmal dran erinnern, ob die Last Year-Collection überhaupt Grafikfilter hatte.