Chris Taylor macht ein PC-Rollenspiel für Sega? Und Big Huge Games macht eines für THQ? Am besten noch Fantasy? Und wieder in einer riesigen Welt? Ach, haut mir doch ab mit dem verdammten Kloppmist! Gerade als leidenschaftlicher Rollenspieler kann ich das Wort Rollenspiel in dieser technikgeilen Seifenblasen-Branche nicht mehr hören. Es wird immer wieder Großartiges angekündigt, aber das bezieht sich immer wieder nur auf die Fassade. Ja, die haben wir bei Two Worlds auch gelobt. Ja, die ist uns auch wichtig.
Aber wir Tester müssen vielleicht früher negative Stoppzeichen setzen. Bevor mir jemand wieder eine riesige Welt mit 100 Quadratkilometern herrlicher Landschaft präsentiert, will ich EINE spannend inszenierte Situation sehen, will ich EINEN nervenaufreibenden Dungeonkampf erleben! Gerade der PC ist in Sachen Dramatik, Choreographie und Spannungsbogen im Vergleich zu Konsolen ein schrecklich armes Entwicklungssystem – so viel Potenz unter der Haube, so wenig Sexappeal darüber. Eine Poserlusche ohne Charakter! Und wie kann es ein, dass so manches Online-Rollenspiel wie Guild Wars schon mehr instanzierte Atmosphäre bietet als seine ach so freien Offline-Brüder?
Als Kind war ich von Bard’s Tale, Fairy Tale und Ultima Underworld begeistert. Damals musste die eigene Imagination vieles ersetzen, was heute Grafikkarten für viele Euros zu leisten vorgeben. Aber dieses zauberhafte Gefühl des Versinkens ging irgendwann verloren. Wann eigentlich? Sollte nicht alles intensiver und schöner werden? Schon das schlimme Ultima X war ein Warnsignal. Und dann kamen Pleiten wie Lionheart , Dungeon Lords & Co.
Ich will nichts mehr von zig Monstern, tausend Items und einem ach so tollen Inventarsystem hören. Ich will nichts von kilometerlangen Höhlensystem, kurzen Ladezeiten und hundert Pflanzen wissen. Alles Schall und Rauch! Alles polygonverzierte Langeweile! Der Glanz der Technik scheint manchmal so grell, dass man bei einem Blick unter die Oberfläche geblendet wird. Wenn sich dann vor den Augen ein Bild der inneren Werte abzeichnet, sieht man meist wenig. Und dann noch weniger. Und schließlich nur eine weitere seelenlose Hülle…
Wenn es schon keine Fortschritte in Sachen Figurenverhalten, Gestik, Mimik & Co gibt, wieso versucht man nicht mit den vorhandenen Mitteln lieber weniger, aber dafür intensivere Momente zu kreieren? Unterhaltet mich erstmal fucking fünfzehn Minuten, bevor ihr euch wieder an ein Hundert-Stunden-Epos wagt! Engagiert gute Autoren! Engagiert Leute aus der Pen&Paper-Szene! Lasst euch von der Imagination eines guten Spielleiters mit EINEM Bleistift verzaubern, bevor ihr sauteures Motion-Capturing mit zehn Kameras macht! Wieso kapieren Entwickler so viele Jahre nach Planescape Torment, nach Baldur’s Gate , so viele Jahre nach Star Wars: Knights of the Old Republic nicht endlich, dass es einen guten Regisseur braucht, um als echtes Rollenspiel zu unterhalten? Grafikfetischismus ist schön, ist wichtig, aber es kommt auf die Seele eines Abenteuers an!
Ich will kein H&M mit Mengenrabatt bei tausend hübschen Kettenhemden und glänzenden Langschwertern, ich will EINEN Schatz finden! Oder meinetwegen zwei. Lasst es drei sein. Aber warum nicht mal Mut zur Lücke? Gebt mir eine fleckige Lederrüstung, aber dafür dutzende gute Dialoge und Charaktere! Gebt mir nur eine verdammte Waffe, aber dafür dutzende spannende Momente! Was ist Spannung eigentlich? Weiß ein Producer, Programmierer oder Leveldesigner das überhaupt? Das ist nicht weghauen, aufsteigen, sammeln, sondern sich bedroht fühlen und sein Leben verteidigen! Das ist der Moment der Entdeckung, das ist die Sekunde der Flucht, das ist der letzte Hieb vor dem Exitus! Vielleicht hat man in der Branche einfach zu viel Diablo gespielt und zu wenig gelesen. Kein Wunder, dass man sich immer wieder in die strunzdumme Levelverblödung metzeln muss!
Dabei geht es ja. Man schaue sich BioWare an: Da darf man nur an Texte ran, wenn man schon Kurzgeschichten veröffentlicht hat – so muss es sein! Und die Japaner haben die Beschränkung auf das Wesentliche als Stilelement längst erkannt: Das System Shadow of the Colossus spiegelt eine ganz andere, herrlich epische Designphilosophie wider, die trotz der Genrehürde auch westlichen Rollenspielen gut stehen würde. Nutzt die lastende Stille, bevor ihr es krachen lasst! Serviert mir lieber einen Ork, der aus dem Gebüsch springt als zehn grünhäutige Vollidioten in freier Schussbahn! Schiebt mir keinen grenzdebilen Golem wie eine Wand entgegen, sondern lasst ihn kräftig auftreten und mir Angst einjagen!
Virtuelle Fantasy kann im Jahr 2007 so verdammt öde sein. Man schuftet sich fast schon roboterhaft in einer Leveltretmühle hoch, joggt eine Karte rauf und runter, ohne dass die Nackenhaare wirklich stramm stehen, ohne dass Adrenalin gepumpt wird. Und wenn schon Action pur, dann macht es bitte wenigstens so geil wie in God of War . Es muss knistern, es muss prickeln, der Boss muss beeindrucken! Auf dem PC ist es seit Jahren immer wieder derselbe Kloppmist, derselbe Sammelkram, derselbe Monsterzoo, derselbe Hack und Scheiß, der auch noch als Rollenspiel verkauft wird.
DawnofMagicofApokalypseNowgoesSilverfall? Hört endlich auf damit! Ihr vergewaltigt ein ganzes Genre. Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fantasy in Ruhe lassen. Die Lady wurde so oft missbraucht, dass sie endlich eine Kur braucht. Also lasst alle Elfen, Zwerge, Orks und Helden einfach mal für mindestens ein Jahr da, wo sie hingehören: In den Bereich der wirklichen, der imaginären und den Alltag verzaubernden Fantasie.
Was sagte Chris Taylor gestern noch zu seinem Rollenspiel-Projekt?
„Unser Hauptaugenmerk bei Gas Powered Games liegt auf der Entwicklung aufregender und visuell beeindruckender neuer Welten, verbunden mit einem revolutionären Spielerlebnis.“
Mach keinen Hack & Scheiß, Chris. Ich will was sehen.
Jörg Luibl