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Diablo 4: Der riesige Erfolg ist schlecht für uns Spieler (Kolumne)

Der große Erfolg ist schlecht für die Spielezukunft (Kolumne)

© Blizzard / Activision Blizzard

Diablo 4 ist in dieser Woche offiziell erschienen und Antagonistin Lilith machte sich bereit, auch die echte Welt zu infiltrieren – in Sachen Marketing legte sich Blizzard richtig ins Zeug und holte sogar kürzlich Megan Fox an Bord. Eigentlich ist das Spiel aber schon bereits seit dem 2. Juni spielbar, wenn man bereit war, etwas mehr Geld für eine Deluxe- oder Ultimate Edition auszugeben.

Eine Praxis, von der ich ausging, dass wir sie längst hinter uns gebracht haben, so wie die Idee eines Second Screens, bei dem jedes größere Spiel auf einmal seine eigene Mobile App mitlieferte. Da lag ich jedoch ganz schön daneben: Mittlerweile ist es wieder Gang und Gäbe, dass man „exklusiv“ ein paar Tage früher spielen darf, solange der Preis stimmt. Für 70 bis 80 Euro gibt es so einen Vorabzugang natürlich nicht, es müssen schon eher 90 bis 100 Euro sein. Und wenn wir schon dabei sind: Im Ingame Shop lassen sich zusätzlich noch ein paar viele Euro ausgeben, ehe dann in ein paar Wochen ein Battle Pass startet, der natürlich ebenso etwas kostet.

Drei Editionen, drei verschiedene Preise – Tabellen gehören bei AAA-Spielen mittlerweile dazu.

Während die Ära der Lootboxen zwar nicht ihr Ende, aber zumindest einen Abklang gefunden hat, haben die Publisher dieser Welt längst an anderer Stelle ihre Monetarisierungspläne vorangetrieben, bei der man auch ganz bewusst Reviews und Ersteindrücke hintergeht – mit vollem Erfolg, der langfristig allen Spieler schaden wird.

Geldbeutel entscheidet: Bezahlter Vorabzugang

Aber rollen wir das Feld erst einmal von einer Seite auf: Was haben Hogwarts Legacy, Diablo 4 und F1 23 gemeinsam? Richtig: Wer bei diesen Spielen noch vor dem Release tiefer in die Tasche greift, der darf auch früher spielen. Verkauft wird das als exklusiver Bonus für teure Versionen, die oft (Digital) Deluxe, Ultimate oder Legendary im Namen tragen und bei denen Hersteller ganz bewusst das FOMO-Prinzip ausnutzen.

FOMO ist die Abkürzung für „fear of missing out“ und bedeutet im Kern, dass man Angst hat, etwas zu verpassen, welches für das eigentliche Leben relevant sein könnte. Das kann zum Beispiel wie folgt ablaufen: Ein Spiel ist nach der Ankündigung in aller Munde, jeder spricht darüber und jeder will es natürlich am liebsten sofort spielen. Manche können das, indem sie 100 Euro bezahlen und eine Version erwerben, die einen Vorabzugang gewährt. Während sich diese Spieler dann schon intensiv über den großen Hype im Detail unterhalten können, schaut man als Käufer der Standard-Version erst einmal nur zu. Wenn dann die FOMO eintritt, weil man sich selbst riesig auf dieses Game freut, zückt man doch den Geldbeutel für ein teures Upgrade, um wieder mitreden zu können.

Dieses System hat Erfolg: Hogwarts Legacy wurde bereits vor dem Release am 10. Februar 2023 von hunderttausenden Spielern gleichzeitig gespielt. Und bei Diablo 4 spricht Blizzard in einer Pressemitteilung davon, dass das Action-Rollenspiel bereits vor der eigentlichen Veröffentlichung im Vorabzugang „93 Millionen Stunden lang gespielt“ wurde und „das Spiel von Blizzard Entertainment mit den höchsten Verkaufszahlen vor der Markteinführung auf Konsolen und PC“ ist. Besonders perfide im Falle von Diablo 4: Ein angekündigtes Hardcore-Rennen, bei dem die ersten 1.000 Spieler, die Level 100 erreichen, eine Gravur auf einer schicken Lilith-Statue erhalten. Um eine Chance zu haben, sollte man natürlich so früh wie möglich mit dem Spielen anfangen…

Dieser Erfolg macht Schule: Immer mehr große Publisher setzen auf ein solches Prinzip, um gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, siehe unter anderem die eine oder andere Ankündigung beim Summer Game Fest 2023. Zum einen treibt es die Vorbestellungen in die Höhe, zum anderen kann man pro verkauftes Exemplar noch ein paar mehr Euro rausschlagen. Da hüpft der Geschäftsbericht gleich doppelt vor Freude.

Wenn Mikro längst nicht mehr Mikro ist

Der Vorabzugang ist jedoch nur eine Seite der immer fieser dreinschauenden Monetarisierungsmedaille. Hat man dem Drang, den Vorabzugang zu bezahlen, nicht nachgegeben, wartet bereits die nächste Versuchung im Spiel selbst: Ein Ingame-Shop! Vor allem bei Live-Service-Spielen ist dieser ein mittlerweile prominenter Begleiter, bei den Publisher Stück für Stück die Daumenschrauben anziehen. Aber nur ganz langsam, denn man soll ja nicht sofort verschreckt werden.

Gemeinhin gilt The Elder Scrolls 4: Oblivion mit seiner Pferderüstung als Wegbereiter für kosmetische DLCs. Der Preis damals? Rund zwei US-Dollar. Für die damalige Zeit ein absolutes Unding, heute würde man dazu sagen: Richtig gutes Angebot! Günstiger findet man solche Skins immer seltener, stattdessen geht die Preisentwicklung in eine ganz andere, fast schon unfassbar dreiste Richtung. Bis zu 28 Euro (!) verlangt Blizzard aktuell im Shop von Diablo 4 für ein komplettes Outfit-Set. Oder wie es unser Tester Michael Sonntag zusammenfasst: Das entspricht etwa einem Drittel der unverbindlichen Preisempfehlung des Action-Rollenspiels.

28 Euro für ein Skin-Set sind eine Ansage. In negativer Hinsicht.

Hier kann man aus meiner Sicht schon lange nicht mehr von Mikrotransaktionen, also von Kleinbeiträgen sprechen. Diablo 4 ist dabei keine Ausnahme, sondern mittlerweile fast schon die Regel: Activision bietet in Call of Duty: Modern Warfare 2 Skin-Bundles für bis zu 25 Euro an, in Street Fighter 6 gibt es schnöde Armbänder für gut vier Euro und bei Lego 2K Drive darf man ebenfalls ordentlich Geld lassen, falls man keine Lust auf den Ingame-Grind hat. Wohlgemerkt handelt es sich bei allen Beispielen um Vollpreis-Spiele, die also nicht im Free2Play-Format erschienen sind, sondern für 60 bis 80 Euro im (digitalen) Ladenregal stehen.

Wenn Epic Games in Fortnite bis zu 15 oder 20 Euro für einen Skin verlangt oder Path of Exile bei seinen Supporter-Packs Preise jenseits von 30 US-Dollar aufruft, dann ist das zwar auch bei weitem nicht angenehm, aber zumindest werde ich nicht noch vorab zur Kasse gebeten. 

Falsches Spiel mit den Reviews

Die Publisher und Entwickler sind sich natürlich längst bewusst, dass sie mit ihren Monetarisierungspraktiken nicht unbedingt auf viele zufriedene Gesichter stoßen, auch wenn der finanzielle Erfolg etwas anderes vermuten lässt. Damit das ganze Ausmaß nicht schon vorab ans Tageslicht gerät, greifen immer mehr Entwickler dazu, erst am Releasetag oder sogar Wochen später ihre Ingame-Shops zu aktivieren – und damit uns Testern ein Bein zu stellen.

Denn wie soll man etwas beurteilen und kritisch einordnen, wenn man dieses gar nicht zu Gesicht bekommt? Eine Warnung, falls diese Mikrotransaktionen deutlich über das Ziel hinausschießen, ist fast nicht möglich und der Zeitgeist sorgt dafür, dass man auch nicht unbedingt ewig mit einem Testbericht warten kann. Man kann im Endeffekt also nur das bewerten, was man auch selbst erlebt hat und steht am Ende eine Wertung, dann ist sie mehr oder weniger in Stein gemeißelt. Klar, lässt diese sich im Nachhinein noch anpassen, aber da ist das Kind längst in den Brunnen gefallen, denn lediglich ein Bruchteil der Leser würde das überhaupt noch mitbekommen.

Eine weltweite Wertung von 89: Selbst wenn Blizzard in Zukunft den Ingame-Shop noch schlechter gestaltet, bleibt das für die Ewigkeit. Quelle: opencritic

Auch das ist eine bewusste Kalkulation der Hersteller: Würden überzogene und völlig dreiste Miktrotransaktionen zum Release noch für harsche Kritik und eventuell auch ein paar niedrigere Wertungen sorgen, interessiert das Wochen später nur noch wenige Spieler. Viele Release-Käufer sind vermutlich schon lange weitergezogen.

„Es sind doch nur kosmetische Gegenstände“

Ich weiß: Die Diskussion um Monetarisierung ist fast schon ein alter Hut, aber sie ist immer noch wichtig, selbst wenn es nicht um Pay2Win-Faktoren geht, die in der Regel eher bei Mobile-Ausartungen wie dem unsäglichen Diablo Immortal zu finden sind. Stattdessen dreht sich auch in Diablo 4 der Ingame-Shop bislang nur um rein kosmetische Skins, die keinen Einfluss auf das Spielgeschehen haben. Es könnte mir eigentlich nichts egaler sein, ob sich jemand für viel zu hohe Preise irgendwelche digitalen Oufits erwirbt, solange er dadurch keinen Vorteil erlangt. Ist ja nicht mein Geld und es sind nur kosmetische Gegenstände.

Aber genau dieser Gedanke ist schon ein Problem für sich, denn sie geben den Herstellern immer mehr Macht und Freiheiten. „Du musst ja diesen Skin für 30 Euro nicht kaufen“ – Natürlich muss ich nicht, aber wenn man alles stillschweigend hinnimmt, dann bleibt es nicht bei diesen Preisen für Skins und Vorbesteller-Boni. Nach der Diablo 4 Beta schrieb ich, dass Blizzard mich in einem Punkt beruhigen konnte und zwar, dass auch ohne den Ingame-Shop die gefundenen Rüstungen passend aussehen. Auch nach dem Release bleibe ich bei dieser Einschätzung, aber wer sagt, dass das für immer so sein wird?

Was jetzt bei einem Diablo 4 noch irgendwie gerade so passt, kann in Zukunft schon ganz anders aussehen. Dann gibt es vielleicht schon für den Aufpreis von 40 Euro einen 14-tätigen Vorabzugang zum Spiel, verpackt als Premium Deluxe Edition, und schick aussehende Skins gibt es für 35 Euro aufwärts, während man ohne Geldeinsatz kaum noch spannende Outfits oder Rüstungen erhält. Ist das die Spielezukunft die wir wollen? Ich hoffe nicht, aber vielleicht gehöre ich damit schon längst nicht mehr zur Mehrheit.