Wie viel Jahre ist das schon wieder her? Als ich diese Woche erfahren habe, dass der Release von Max Payne 2: The Fall of Max Payne bereits 21 Jahre her ist, habe ich vor Schreck mit den Ohren geschlackert – ja, das kann ich. Immerhin ist der zweite Teil der Neo-Noir-Reihe rund um den heruntergewirtschafteten Polizisten Max Payne eines jener Spiele, die sich in mein Langzeitgedächtnis eingespurt haben. Mit Bullet Time, mit Gunplay – aber vor allem mit formidablem Writing, welches mich bis heute zum Schmunzeln bringt.
Damit meine ich dezidiert nicht das schnöde Storytelling einer Rachegeschichte, wie sie, bei aller Liebe für den ersten Max Payne und Remedy, mir schon dutzendfach vorgeworfen wurde. Nein, womit mich Sam Lake als Chefautor der ersten beiden Maxes euphorisiert, sind monologisierende Zeilen vom Schlage eines: „Die Vergangenheit ist ein klaffendes Loch. Du versuchst davonzulaufen, aber je weiter du läufst, desto tiefer und schrecklicher klafft es hinter dir auf – die Ränder sind dir auf den Fersen.“ Doch um Zitate-Bingo soll es nicht gehen.
An diesem Level hätte David Lynch seine Freude – in Max Payne 2
Ich denke, Goethe hätte es nicht besser sagen können, wenn Mister Lake blühende, metaphorische Landschaften wie oben aufreißt, oder? Kokolores beiseite. Tatsächlich sind denkwürdige Sentenzen für mich nicht mal das absolute Highlight aus Max Payne 2: The Fall of Max Payne – und seinem verkappten Gossenpoeten im schicken Ledermantel.
Erinnert ihr euch noch an die Serie Twin Peaks aus den tiefsten 90ern? Natürlich erinnert ihr euch daran, wenn ihr diese Kolumne schmökert. Mit ikonischem Zickzack-Muster, mysteriösen Wäldern und abgedrehten Charakteren hat sich die Serie des nicht minder schrägen Kopfes David Lynch in unser kollektives Gedächtnis geradezu gedrillt – geführt von einem kleinwüchsigen Mann, der rückwärts spricht, natürlich.
Apropos gutes Writing: Das gab es auch in Twin Peaks (mit pointierten Dialogen ums schwarze Gold).
Zugegeben: Twin Peaks ist einer dieser Meilensteine aus der Popkultur, deren ersten Folgen ich gesehen – aber dann die DVD-Box irritiert weiterverliehen habe. Dafür durchschreite ich gerade einen Akte-X-Marathon – und jede*r Serienjunkie weiß, welche beiden Serien sich nebelverhangene Wälder und David Duchovny teilen. Gleichviel.
„Address Unkown“, oder: Die Reise ins innerste Ich
Im Verlauf von Max Payne 2 betretet ihr als titelgebender Held einen verlassenen Freizeitpark. Bei der ramponierten Einrichtung handelt es sich um eine Verbeugung vor der Fernsehserie „Adress Unkown“. Einer Mystery-Serie, die, genau wie Twin Peaks aus unserer echten Welt, in den frühen 1990er-Jahren ausgestrahlt und dann eingestellt wurde. Warum ihr euch als Mann, der Schmerzen wirklich bis zum Maximum kennt (höhö!) in diesen Freizeitpark für Erwachsene verirrt? Ihr seid auf der Suche nach Mona Sax, der euch nahestehenden Verbündeten. Die Frau nutzt die stillgelegte Einrichtung als Unterschlupf.
Kurioserweise wird dieser Level mit „Eine geradlinige Abfolge von Schrecken“ betitelt – was dann auch die Wanderung durch dieses Gruselkabinett widerspiegelt. Als Max Payne bewegt ihr euch immer tiefer in den Kaninchenbau, zwängt euch durch surreale Großstadtkulissen, brecht durch künstliche Nebelschwaden, hastet in ominös klingelnde Telefonzellen – und landet mitunter in einer Nervenheilanstalt, neben der das, durch was sich Jack Nicholson in Einer flog über das Kuckucksnest gekämpft hat, wie ein Streichelzoo ausnimmt.
Das Schönste an dem Level: Dieses dezente Gefühl des Unwohlseins entsteht nicht durch aus dem Nichts hervorbrechende Schreckgespenster oder Blut und Splatter, sondern eine zurückgenommene, von Jazz-Musik unterfütterte Atmosphäre – die sich wie eine metaphorische Reise hinab in die Irrungen und Wirrungen unseres Protagonisten anfühlt. Das tangiert auch einen der zentralen Gründe, wie Max Payne 2 damals mein Herz erobern konnte – obwohl ich eigentlich noch die nötige Reife und Lebenserfahrung vermissen ließ.
Max Payne 2: Ein Ballerspiel mit Tiefgang (und Bullet Time)
Ja, an der Oberfläche ist der zweite Max eine Parforcetour durch die New Yorker Unterwelt, ein mit Verschwörungen innerhalb von Verschwörungen verschachtelter Plot, bei dem sich die Umarmung einer Mona Sax wie ein Todeskuss einfühlt – um es blumig zu sagen. Doch durchbricht man diese Patina, dringt ihr vor zum Kern (der Geschichte), rund um unseren Titelhelden mit dem Zeitlupen-Hechtsprung, auf einer persönlichen Reise, endlich die Geister (und Traumata) seiner Vergangenheit abzuschütteln – und daneben fetzt natürlich das knallige Gunplay.
Langer Rede, kurzer Schluss (oder eher: „Schuss!“, um den Wortwitz noch abzufeuern): Max Payne 2 und sein Vorgänger lohnen auch heute im Jahr 2024 eine Wiederentdeckung, behaupte ich im Brustton der Überzeugung. Was Max Payne 3 angeht, fragt ihr nach Empfehlungen lieber andere Redakteur*inne eures Vertrauens – den Max Payne im Hawaiihemd und mit Fleischkappe spare ich mir lieber fürs Rentenalter auf.
Zumindest in unserem damaligen Test konnte Max Payne – der Zeitlupen-Ballerei dritter Teil überzeugen mit: klasse Technik und toller Zeitlupe, krankte aber laut Rezensent an schwacher Dramaturgie und monotonem Spieldesign. Ach, fast vergessen: Was wäre eine launige Kolumne über Max Payne ohne ein abschließendes Zitat unseres Großstadtcowboys Maxi? Deshalb: „Ich hatte es nicht verdient, mich einfach zu verziehen. Es gibt kein Happy End.“ Danke für das Schlusswort, Max. Jetzt übernehmen Sie, Goethe.
Quellen: YouTube / @WatcheverDE, @Humakt83