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Beholder (Adventure) – Der Spion im eigenen Haus

Man nehme eine Dystopie, die der Indie-Überraschung Papers, Please ähnelt. Man ergänze dies um ein Artdesign zwischen This War of Mine und Fallout Shelter. Und zu guter Letzt reichert man dies um eine Orwell’sche Big-Brother-Thematik sowie zahlreiche, teils dramatische Entscheidungen samt Konsequenzen an. Das Ergebnis dieses merkwürdigen Cocktails ist die „Blockwart-Simulation“ Beholder, die über ein Jahr nach PC-Veröffentlichung jetzt auch auf Konsolen die Nachbarschafts-Spione ans Pad ruft – mehr dazu im Test.

© Warm Lamp Games / Alawar Entertainment / Curve Digital

Der scheinbar wohlhabende, aber übergewichtige Arzt sehnt sich nach einer romantischen Beziehung. Der Student, der nur ein paar Tage bleibt, will nur in Ruhe gelassen werden, wartet aber auf eine Lieferung. Der Archivar sucht seine Brille. Und der vorherige Hausbesitzer (wieso er seine Immobilie verloren hat, bleibt lange unklar) möchte einfach nur weg. Und so ist man hin und her gerissen zwischen dem Gehorsam gegenüber dem Staat, den Verpflichtungen seiner Familie gegenüber sowie den Bedürfnissen der Mieter, denen man eigentlich stets als Verräter begegnet. Man wird dabei immer wieder von mal mehr, mal weniger unscheinbaren, aber auch sehr direkten Entscheidungen und im Normalfall dramatischen Konsequenzen begleitet. Sorgt man z.B. dafür, dass der Arzt eine Liebschaft bekommt, muss man sich unter Umständen mit der zwielichtigen Dame als weiteren Hausbewohner anfreunden – was zu neuen Schwierigkeiten führen kann. Und wenn man dem Archivar den Gefallen abschlägt oder seine Frau anzeigt, weil sie z.B. bestimmte Bücher gelesen hat, wird er einem nicht mehr helfen, die Literatur für den Filius zu finden. Wiederum andere Mieterwünsche lassen sich erst erfüllen, wenn man vorher etwas anderes erledigt hat.

Nichts ist heilig


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In den Dialogen stehen zwar häufig mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, doch eine verzweigte Baumstruktur sucht man vergeblich. © 4P/Screenshot

Immer wieder wird man von Beholder aufgefordert, Schicksal zu spielen. Und mitunter lassen einen die Konsequenzen sehr schwermütig zurück. Denn alternativ zur situativen Spannung, die man erlebt, wenn man ggf. unter Zeitdruck die Wohnung der Mieter durchsucht oder partout bestimmte Elemente nicht findet, bevor die Zeit für manche Missionen abgelaufen ist, wird hier mit dem moralischen Gewissen gespielt. Wie soll man sich z.B. verhalten, wenn man sein schwer verdientes (oder durch Erpressung, auch das ist möglich) Geld lieber für die Ausbildung seines Sohnes ausgibt, anstatt die zig Tausende verschlingende Behandlung der Tochter fortzusetzen, sie daraufhin stirbt und die eigene Frau entgegen der ministeriellen Verordnung weint? Meldet man sie seinen Vorgesetzten? Geht man das Risiko ein, das ein „Nachbar“ einen verpfeift? Nahezu jede Figur, inkl. Karl Stein, kann vorzeitig sterben – teils durch Unfälle. Wie z.B. bei der Bombenexplosion (hat der Student etwas damit zu tun?), die dafür sorgt, das eine panische Meute durch die Straßen rennt und niedertrampelt, was im Weg steht. Immer wieder wird man intensiv mit allzu menschlichen Wünschen und Schicksalen konfrontiert, die einem u.a.  die Grausamkeit des totalitären Staates vor Augen führen, den man in Beholder sowie in der auf Konsolen integrierten Erweiterung „Schlaf der Glückseligkeit“ kennenlernt.

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Man kann die Mieter nicht nur über Kameras, sondern auch persönlich ausspionieren und Details über ihr Leben sammeln. © 4P/Screenshot

Doch bei aller Intensität und aller Dramatik, die man im Rahmen der eigentlich auf simple Entscheidungen reduzierbaren Mechanik erlebt, fehlt mir etwas: Grauzonen. So lebendig die Dialoge auch wirken, sind sie insgesamt eher kurz ausgefallen und wie nahezu alles auf Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß, Tun oder Lassen, A oder B ausgelegt. Dementsprechend reduziert sich die Mechanik auf ein emotionales Trial & Error. Da einem dies schon relativ früh klar wird, wird Beholder schneller zu einer virtuellen Ameisenfarm, als ihm gut tut. So habe ich irgendwann kaum noch über die moralischen Implikationen nachgedacht, sondern meine Entscheidungen eher aus Experimentierfreude getroffen. Aus Neugier, was als Nächstes auf Karl Stein und die Hausbewohner einprasselt. Da man in einem Durchlauf (zwischen fünf und acht Stunden) auf dem Weg zu den unterschiedlichen Enden nicht alle Storypfade (v.a. bei den Hausbewohnern) kennenlernen kann, bleibt man auch neugierig und trifft bestimmte Entscheidungen beim zweiten (oder dritten) Mal bewusst anders. Allerdings hätte hier ein gewisser Zufallsfaktor nicht geschadet. Denn abseits des einen oder anderen vorher nicht gesehenen Erzählstranges bleiben die großen Überraschungen bei den erneuten Durchläufen aus.

  1. Hmm, den Satz "auch wenn irgendwann die emotionale Anbindung verloren geht" finde ich interessant.
    Ist das vielleicht auch Zweck des Spiels, zu zeigen, dass die Emotionen als "Wächter" in totalitären Regimes verloren gehen?
    Mich reizt das Spiel ja schon, aber am Dienstag kommt The Hidden Ones und am Freitag Monster Hunter, also muss das Spiel erst mal warten ...

  2. Wir haben im Januar, Februar einfach mehr Zeit für kleinere Spiele oder Umsetzungen. Und die aktuellen Tests zu "Nantucket" oder "Inner Space" kamen ja direkt zum Releasetag. Uns wird auch dieses Jahr viel durch die Lappen gehen, gerade was kleinere PC-Titel betrifft. Aber die wirklich wichtigen haben wir eigentlich immer auf dem Radar.

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