Schlichte Geschichte
Die Detailverliebtheit überträgt sich leider nicht auf die Geschichte. Der verschollene Bruder, Passagiere oder Geschäftspartner werden nur selten etwas persönlicher. Ab und zu meckert ein Reisender über Einwanderer oder erzählt von seiner technischen Erfindung. Oder man erfährt nach der Zustellung einer Liebeserklärung, dass die betreffende Ex-Frau in der angrenzen Stadt gar nichts mehr von ihrem aufdringlichen Ex wissen möchte. Es trägt allerdings wenig zur Atmosphäre bei, wenn man solche Anekdoten lediglich in schlicht formulierten Textkästchen nebst Portrait-Bildern präsentiert. Meist hatte ich den Eindruck, außen vor zu bleiben, statt ein Wildwestabenteuer zu erleben. Stattdessen verlor ich mich nach anfänglicher Aufbruchstimmung schnell in der dringend nötigen, aber simpel gestrickten Handelsroutine, die mitunter ungute Erinnerungen an den Grind von Handyspielen weckt. Wer genügend Geld zusammenkratzen will, muss hier jeden Preisvorteil nutzen, denn nach einem lockeren Einstieg zieht der Schwierigkeitsgrad gleich an mehreren Fronten sprunghaft an.
Wer sich geschickt anstellt, kann zwar hier und da sparen, z.B. indem er als Begleitschutz einen alten Freund des Vaters engagiert, der sich gerne revanchieren würde. Auch die eine oder andere teure Streckenlizenz lässt sich mit Gefälligkeiten wie der Anlieferung von Tabak erlangen. Hinzu kommen aber Ausgaben für bessere Waffen, eine teure neue Lok sowie größere Waggons, die schon bald in ein paar Attributen aufgerüstet werden müssen. So lassen sich die Abteile z.B. mit Geheimfächern für Schmuggelware umbauen, die dann nicht mehr so leicht zwischen den übrigen Gütern entdeckt wird. Die entsprechenden halbseidenen Geschäftspartner warten nach Anbruch der Dunkelheit im Saloon – oder auch am Wegesrand. Wer es lieber ruhig angeht, sollte von Anfang an einen der niedrigeren Schwierigkeitsgrade auswählen.
Tuning im Jahr 1860
Upgrades und Reparaturen werden im örtlichen Betriebshof abgewickelt, in dem je nach Stadt auch neue Modelle angeboten werden. Auch der Protagonist und seine Crew werden im Laufe des Spiels mit der Hilfe von Erfahrungspunkten aufgepäppelt. Zu Statuswerten wie Agilität oder Zielvermögen kommen bis zu drei Spezialfähigkeiten, welche den Charakter z.B. kurzzeitig unverwundbar machen oder seine Feuerfertigkeit aufwerten. All zu schwach sollte man den an Strecken lauernden Banditen nicht gegenübertreten: Zu Beginn sind zwar nur ein paar Klicks nötig, um die kleine Mannschaft passend im Zug zu platzieren und sie auf die per Pferd anrückenden Gegner schießen zu lassen. Nach einigen Stunden werden die Banden aber deutlich größer und hartnäckiger, so dass ich nach ein paar Anläufen meist einfach das verlangte Schutzgeld herausrückte. Glücklicherweise lässt sich das Spiel jederzeit speichern oder in eine taktische Pause versetzen, was mir in diesem Fall aber nur bedingt weiterhalf. Zur Not muss man auch geistesgegenwärtig reagieren, um ein sich ausbreitendes Feuer löschen. Das wird vor allem dann problematisch, wenn sich brennbare Ware wie Schnapps oder Pelze an Bord befindet.
Sonderlich spannend oder dynamisch umgesetzt sind die Kampf-Sequenzen aber ohnehin nicht: Per Mausklick delegiert man die Figürchen ein wenig zwischen Deckungen und Brandherden umher, während sie automatisch feuern. Wirklich fehlerfrei läuft die Action nicht ab: Ab und zu verschmelzen Pferde mit dem Zug und reiten einfach durch ihn hindurch. Nebenbei muss man übrigens den Kesseldruck im Auge behalten und kann mit Hilfe eines Extraschubs manchmal sogar kampflos fliehen. Ich weiß zwar, dass Bounty Train keine Parodie im Stile von North & South sein soll, trotzdem habe ich mir manchmal die lustigen alten Gefechte zurückgewünscht. In jedem Fall hätte man aber auch hier ein unterhaltsameres Kampfsystem auf die Beine stellen sollen.
So sehr mir das Spiel anfangs gefallen hat; mit der Wertung muss ich leider Jottes konform gehen.
Das Spielprinzip an sich finde ich toll, da es unverbraucht ist und bis jetzt, so weit ich weiß, das Einzige ist, in dem man als "Freiberufler" mit seinem persönlichen Zug durch die USA zieht. Nur sind es wie so oft manche Designentscheidungen, die den Spaß schmälern und mich sogar manchmal fast zum Ragequit getrieben hätten - auf Normal.
Wie die Banditen, die meines Erachtens nach zu früh sehr stark werden (Reelle Chancen hatte ich erst mit Highend-Ausrüstung und voller Crew), lachhaften Indianerüberfällen (Stehen bleiben und alle erschießen ist einfacher, fliehen lohnt sich nicht und beschädigt nur unnötig den Zug) Teilnahme an Auktionen nur mit hohem Ansehen möglich (Warum werde ich als Anteilseigner überhaupt eingeladen, wenn ich sowieso nicht daran teilnehmen darf?) und die sehr, sehr nervige Verschleißmechanik, die man nichtmal abstellen kann. Ist zwar natürlich realistisch, aber ich bezweifle ernsthaft, dass 380.000 Kilometer für eine Lok schon gleichbedeutend mit "Reif für den Schrott" sind und der Nutzen von Upgrades ist äußerst fragwürdig, wenn die Waggons regelmäßig umgetauscht werden müssen. Und wenn schon Upgrades, dann nur, wenn man bereits so viel Geld auf der hohen Kante hat, dass man nicht mehr weiß, wohin damit.
Wollte eigentlich noch ein "Freies Spiel" bestreiten, aber bitte ohne den Verschleiß.
Ein wirkliches "Endgame" gibt es zudem nicht. Man tuckert stundenlang nur herum und wartet, bis neue Auktionen für Aktienanteile anstehen.
Außerdem: Wozu habe ich einen Zug, der problemlos über 120 km/h fährt, in Fluchtsequenzen aber ständig Kurven kommen, die mich zwingen, auf 30, 20 oder gar 15 runterzubremsen? Bis ich wieder auf "Fluchttempo" beschleunigt habe, muss ich wieder auf die Notbremse hämmern.
Für mich eines dieser liebevollen Spiele, die das Potenzial zu weit mehr hätten, wenn sie nur nicht durch ärgerliche Designentscheidungen ausgebremst werden...
Spiel klingt interessant, klassischer Steam-Sale-Kandidat
Hast du den Artikel gelesen? Der Schwierigkeitsgrad an sich stand gar nicht zur Debatte, lediglich die unregelmäßig stark ausfallenden Anstiege werden bemängelt.
Mag sein, dass dem realen Vorbild auch eine repetitive Grundstruktur innewohnt, für ein Spiel ist das, nach Ansicht des Autors, jedoch zu wenig. Es wäre hier wünschenswert gewesen, dass der Anspruch sich durch abwechslungsreiche neue Herausforderungen steigert, statt mehr vom Gleichen abzuverlangen.
Ich finde, das ist ein fairer Kritikpunkt und, da muss ich dich enttäuschen, liegt nicht die 60%-Wertung begraben. In diesem Spiel wurde halt vieles versucht umzusetzen und das halt leider nur unausgereift. Wenn man ein Wirtschaftsstrategiespiel schon mit Kampfeinlagen, persönlicher Story und Rollenspielelementen bereichert, dann doch so, dass ein Mehrgewinn entsteht. Hier wirken die Zusätze wie billige Anhängsel ohne ausreichend Tiefgang. Dafür scheinen jedoch die Ressourcen für die Politur des Kernaspekts zurückgeschraubt worden zu sein, der dauerhaft motivierenden Strategie.
Weiterhin ist die Präsentation alles andere als zeitgemäß und spiegelt die inneren Werte gut wieder. Damit ist das Spiel zumindest kein Blender, aber eben auch kein Geheimtipp.
Die 60% sind, meines Erachtens, gerechtfertigt...gemessen an einem 0 - 100% Wertungssystem.
(Außer Acht gelassen, dass sich relevant Spielebewertungen heutzutage im 79 - 100% Bereich positionieren und damit alles was darunter liegt für einen Publisher ein totaler Verriss ist.)
Aha so seht ihr das ?
Dann erledigt doch mal ein komplettes spiel. Der schwierigkeitsgrad zieht nämlich gut an. Und wer dann ohne grips nur n bisschen züge hin und her-fährt überlebt nicht.