Cannon Dancer oder Osman?
Beides ist richtig. In den Digital-Stores findet ihr das neue alte Spiel unter dem Titel „Cannon Dancer – Osman“. Klingt komisch, hat aber einen Grund: Das Arcade-Game hieß im japanischen Original „Cannon-Dancer“ (auf Flyern inklusive Bindestrich), für den westlichen Spielhallen-Release entschied sich Entwickler Mitchell aber für den Namen „Osman“ – vermutlich weil der klanglich besser zum Tausendundeine-Nacht-Setting mancher Stage und der arabisch bzw. persisch anmutenden Kleidung des Hauptdarstellers passt. Dabei sind die auffälligen Beinkleider von Held Kirin laut Character Designer Utata Kiyoshi nicht von der Mode des Orients, sondern von den Baggy Pants japanischer Arbeiter inspiriert. Doch bevor ich an dieser Stelle zu sehr in Details abdrifte, noch eine wichtige Personalie, die zur Einordnung des Spiel nun wirklich unentbehrlich ist: Cannon Dancer entsprang dem kreativen Geist von Koichi Yotsui, der ein paar Jahre zuvor für Capcom den Action-Klassiker Strider verantwortete – sein damals (und bis heute) bekanntester Titel. Zusammen mit anderen Ex-Capcoms fand er sich ab 1992 beim japanischen Konkurrenten Mitchell Corporation ein, um am (austauschbaren) Prügelspiel The Karate Tournament sowie dem (raffinierten) Softsex-Puzzler Lady Killer zu arbeiten.
Ein paar Jahre später war es dann soweit: Yotsui wollte Strider übertreffen und drehte für Cannon Dancer nochmal so richtig an der Action-Schraube. Das Spiel feuert zwar nur 30 Minuten lang, dafür aber aus allen Rohren: Bildschirmfüllende Boss-Ungetüme attackieren aus allen Himmelsrichtungen, Kicks verwandeln Pixelfeinde in Blutwolken und auf Knopfdruck vervielfacht sich der elegante Held, um mit ungeahnter Power auf seine Gegner loszustürmen. Manchmal wähnt man sich in einem Boss-Rush-Game wie vom japanischen Konkurrenten Treasure, dann wieder sind die Parallelen zu Strider so unverkennbar, dass dem Retro-Connaisseur sofort klar wird, warum Yotsui Cannon Dancer als inoffiziellen Nachfolger zum Capcom-Game betrachtet. Held Kirin teilt mit flashig-schnellen Kicks und Schlägen aus, kann raumgreifend springen und jede noch so schräge Wand hoch- oder runterlaufen. Obendrein kann er sich – wie Strider Hiryu – an Plattformen hochziehen und an der Decke entlanghangeln – in manchem Looping-ähnlichen Level-Abschnitt fühlt man sich beim Übergang von Laufen ins Klettern sogar ein bisschen wie Sonic the Hedgehog.
Todeskralle auf Speed
Kirin löst Streitigkeiten aber nicht durch schnödes Auf-den-Kopf-Hopsen sondern teilt mit Handkanten und Fußtritten aus – mit aufgesammelter Power-Ups sogar so rasant, dass Schatten-Versionen von ihm weiter auf einen Feind losgehen, während man selbst schon einen Meter weiter ist. Das sieht cool aus und zeigt Wirkung, mitunter leidet aber die Übersicht darunter. Klarer wird es, wenn man Kirins Supermove auslöst, der pro Leben drei Mal zur Verfügung steht. Dann saust er eine Art Stern-Form auf dem Screen ab und teilt massiv Schaden aus. Auch das ist prinzipiell ein cooles Feature – es richtet aber auch das Brennglas darauf, dass Yotsui und sein Team beim Balancing geschlampt haben. Gerade in den letzten beiden Levels sind die Gegner oft so gnadenlos, dass nur dieser sehr starke Supermove zu einer Art Rettungsanker wird. Wenn man damit einen Boss aufs Kreuz legt fühlt sich das mitunter schal an, wie das plumpe Granaten-Raushauen bei unfairen Metal-Slug-Endgegnern. Man hat kaum Chancen, dem Widersacher im Zweikampf Paroli zu bieten? Dann wirft man einfach Credits nach und spammt die Spezialattacke zwischen den Bildschirm-Toden…
Womit wir schon bei einem wesentlichen Kritikpunkt (neben der sehr kurzen Spielzeit) wären: Cannon Dancer ist im Arcade-Schwierigkeitsgrad und auf dem „Herausforderungsmodus“ (ohne Continue) selbst für Souls-erprobte Spieler ein beinharter Ritt auf der Rasierklinge – bei einigen Feinde beißt ihr schneller ins Gras als euch ein Fluch über die Lippen kommt. Das war wohl auch den Codern der modernen Version bewusst – an deren Enstehung laut ININ auch Yotsui selbst beteiligt war. Selbst im Herausforderungsmodus darf man deshalb zwei beliebige Hilfestellungen aus einem Pool von acht Verbesserungen auswählen, darunter Doppelsprung, zusätzliche Continues, Unbesiegbarkeit beim Springen oder Rutschen sowie ein „Dauerangriff“; letzterer erlaubt, den Angriffsknopf gedrückt zu halten, während Kirin pausenlos Kicks mit Bruce-Lee-Geschwindigkeit verteilt. Weil Cannon Dancer dem Gros der Spielerschaft aber auch mit diesen Hilfen zu hart sein dürfte und in den späteren Levels verlangt, Checkpoints mit nur einem Leben zu meistern, gibt es noch den…
Standardmodus
Der macht die Feinde weniger stark und widerstandsfähig, stellt euch unendlich Continues zur Verfügung, erlaubt das Anschalten aller erwähnten Verbesserungen gleichzeitig, lässt euch Speicherstände nutzen und sogar Cheats aktivieren: Damit schenkt ihr eurem Kirin auf Wunsch Unbesiegbarkeit, schaltet den Timer aus oder aktiviert alle Power-Ups. Obendrein dürft ihr im Standardmodus per Schultertaste nun auch zurückspulen und so erlittene Treffer oder Stürze in den Tod ungeschehen machen. Ein sehr komfortables Paket also, welches die Portierung da anbietet. Niemand muss, aber jeder kann die gereichten Hilfestellungen nutzen…
In puncto Video-Modi orientiert sich Cannon Dancer an Genre-Standards aktueller Retro-Ports: Es gibt ein paar Bildformate (darunter „Pixel Perfect“), die Option mit oder ohne Filter zu spielen sowie einen fein justierbaren CRT-Effekt, der die Störstreifen, Farben oder abgerundeten Ecken alter Röhren-TVs gelungen nachahmt. Cannon Dancer gibt es digital für 30 Euro auf PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X/S sowie Switch. Beim deutschen Shop Strictlylimited könnt ihr das Game auch als Disc- bzw. Modul-Version für die PlayStation-Konsolen und Switch ordern, zum gleichen Preis. Die Collector’s Edition für 70 Euro enthält in einer großen Box zusätzlich ein Acryl-Diorama, Arcade-Flyer, eine Münze, einen Kalender sowie den Soundtrack auf CD.
Der Preis ist mir zu hoch angesetzt, aber es sieht schon interessant aus. Wenn es günstiger wird, ist es sicher etwas für mich. Ich behalte Cannon Dancer jedenfalls im Hinterkopf.
Aber interessantes Spiel. Muss man wohl nachholen.
Das sieht verdammt gut aus und die Animationen erst. Für meinen Geschmack hätten es ein paar mehr Farben sein dürfen.