Gedankenspiel
Stellt euch ein Paralleluniversum vor: Eines, in dem die DDR im noch geteilten Deutschland einen Bürgerkrieg gewonnen hat. Die politische Führung der BRD zog sich danach auf die Ostseeinsel Fehmarn zurück, um dort einen drakonischen Einparteienstaat aufzubauen, das Kriegsrecht auszurufen und gegen den sozialistischen Klassenfeind zu wettern, der seitdem über das deutsche Festland herrscht. Das Beispiel klingt natürlich reichlich bescheuert und unrealistisch. Es eignet sich aber immerhin dazu, zu veranschaulichen, in welchem bedrückenden politischen Klima sich das fernöstliche Horror-Adventure Detention abspielt: Die Handlung versetzt den Spieler auf die Insel Taiwan, auf die sich die ehemalige Regierung, die Eliten und Streitkräfte der Republik China zurückzogen, nachdem die verfeindeten Kommunisten auf dem Festland die Volksrepublik China ausriefen.
Experten mögen mir die arg verkürzte Darstellung verzeihen; ich wusste vor diesem Test nur wenig über den Taiwan-Konflikt. Das Spiel Detention hat es allerdings geschafft, mein Interesse zu wecken, so dass ich mich gestern Abend noch ein wenig in Artikeln über die Hintergründe geschmökert habe. Für die Beteiligten dürfte der von 1949 bis 1987 andauernde Ausnahmezustand vermutlich weniger angenehm gewesen sein. Es wurden schließlich Grundrechte wie die Pressefreiheit, das Postgeheimnis oder der Schutz der Wohnung eingeschränkt. Die entsprechende Grundstimmung wird auch während der Geschichte von Detention deutlich, die in den sechziger Jahren spielt. Überall finden sich Hinweise auf Militärgewalt, Misstrauen und Bespitzelung in der Zivilgesellschaft.
Wann kommt der Sturm?
Als Ray eines Tages in ihrer Schule aufwacht, ist das Gebäude bereits evakuiert und teils mit Brettern zugenagelt – als Schutzmaßnahme vor einem heraufziehenden Sturm. Nur noch sie und ihr Mitschüler Wei streifen durch die deprimierend grauen Flure – zwischen geschundenen Holztischchen, Filmprojektoren und einem ehemaligen Puppenspielwagen, der von einigen Schul-Rowdies in ein Wrack verwandelt wurde. All das sorgt in Kombination mit dem heraufziehenden Sturm bereits für ein ungutes Gefühl. Noch gruseliger wird es allerdings, sobald Rays Visionen Überhand nehmen. Nach und nach finden sich immer mehr Blutflecken, Folterinstrumente und sogar Kerker mit entstellten Puppen in der Schule, deren Ausgänge plötzlich von Baumwurzeln oder surreal aufgetürmten Holzstuhltrümmern versperrt werden.
Auch in Rays Familie scheint der Haussegen gewaltig schief zu hängen, denn immer wieder versetzen Visionen sie in traumatische Erinnerungen, in denen sich die Eltern endlos streiten. Wenn ich aus der seitlichen Sicht durch die Gänge der Schule schreite, erinnert die Stimmung ein wenig an Titel wie Silent Hill. Da es sich um ein Adventure handelt, wird allerdings nicht gekämpft. Stattdessen treffe ich nur ab und zu auf durch die Gänge schlurfende Geister, die sich röchelnd mit ihren Laternen oder anderen altertümlich anmutenden Werkzeugen über die Protagonistin beugen. Sie lassen sich meist mit recht einfachen Schleichmanövern austricksen. So halte ich beim Vorbeigehen z.B. die Luft an, platziere eine duftende Reisschale als Ablenkung oder beherzige andere kleine Tricks, die mir auf Schriftstücken über alte Geistermythen verraten werden.
Ist schon in meiner Bibliothek, kam nur noch nicht richtig zum Spielen. Sah aber interessant aus (sonst hätte ich es nicht gekauft)
Hab's vorgestern im eShop entdeckt und war vom Trailer, insbesondere im Hinblick auf das Artdesign, mehr als angetan. Prima, dass es gelungen scheint. Werde wohl zuschlagen. Das Einzige, was mich stört ist die wohl etwas kurze Spielzeit. Hat man kaum Zeit, richtig drin zu versinken. Preis ist aber dafür wirklich fair.
Hab Detention bereits irgendwann letztes Jahr auf dem PC gespielt und habe es in guter Erinnerung.
Schön, dass es eine Switch-Umsetzung und gleichzeitig einen Test serviert bekommt.
Ich bin Wissenschaftler und habe gerade einen Schwerpunkt zu China und Taiwan. In der Tat kann man sehr viel über die Welt lernen, wenn man sich nur das anschaut, was wir "Greater China" nennen, nämlich die VR China, Taiwan/Republik China, Hongkong und Singapur. Da gibt's alles von Demokratie bis Diktatur, Veränderungen der politischen Systeme, Kommunismus und Kapitalismus, viele verschwimmende Konturen. Deshalb danke für diesen Tipp!
Gerade gibt es in Taiwan übrigens eine große Debatte darüber, wie man mit der autoritären Ära und besonders der Phase des Weißen Terrors umgehen soll. Das ist unter dem Oberbegriff "Transitional Justice" zusammenzufassen. Die damals autoritär regierende Partei KMT gibt es nämlich immer noch, aber genauso eben Alternativen, aber keinen wirklichen gesellschaftlichen Konsens, wie man mit der Vergangenheit umgehen soll.