Eternights: Kalte Füße, heiße Dates
Liebe ist ja bekanntlich wie ein loderndes Feuer und wer sein Herz entzünden oder sich die Finger verbrennen will, greift heutzutage gerne mal zur Dating-App. So geht es auch den beiden jungen Männern, die mir Eternights zu Beginn vorstellt: Der namenlose Protagonist und sein bester Freund Chani scheinen in ihrem Umkreis bislang kein Glück gehabt zu haben, was auch die offensichtlich auf dem Schreibtisch platzierte Box mit den „guten alten“ Taschentüchern erklärt. Also wird kurzerhand ein Dating-Profil erstellt, weil sich die beiden offenbar bessere Chancen ausrechnen, wenn sie sich in das gigantische virtuelle Meer werfen, in dem sich nicht nur jede Menge Fische, sondern auch potenzielle Haken tummeln. Das erste Erfolgserlebnis folgt überraschenderweise auf dem Fuße und in Form einer rätselhaften Dame, die mich mit der zwielichtigen Aussicht auf Nacktbilder und einem Date verführen will.
Bevor ich der Sache am nächsten Tag auf den Grund gehe, reise ich erst einmal ins Reich der Träume, wo mich nach einer verstörenden Zwischensequenz ein Tutorial zum Kampfsystem erwartet. Auf das möchte ich aber erst später eingehen, denn die Anleitung für die Hack-and-Slash-Gefechte wäre hier genauso deplatziert, wie sie im Spiel ist: Viel zu früh und ohne Kontext, während sich um mich herum erst einmal die nur angeschnittene Geschichte entfalten muss. Dafür geht es bei der nun Schlag auf Schlag: Das vereinbarte Date fällt nämlich ins Wasser, wenn auch nicht, weil mich die mysteriöse Frau versetzt hat, sondern weil eine gigantische lila Mauer aus dem Nichts auftaucht und sich der Großteil der Menschheit in mordlustige Monster verwandelt.
Zusammen mit meinem besten Kumpel flüchte ich in einen Bunker, wo wir auf zwei junge Frauen treffen. Wie es der Zufall will, ist eine davon der bekannte Popstar Yuna, der sich unserem Trüppchen kurzerhand anschließt und überraschenderweise über sehr praktische Heilfähigkeiten verfügt. Auf der Flucht vor den mutierten Menschen stellt sich uns dann plötzlich eine feindlich gesinnte, aber offenbar noch bei klarem Verstand befindliche Dame mit Darth Maul-mäßigem Doppelschwert entgegen und schneidet mir schwungvoll den Arm ab, nur um mich ebenso abrupt in eine Traumwelt zu befördern, in der ich der gesichtslosen Frau von der Dating-App in einem Ruderboot gegenübersitze. Die wiederum schwafelt was von meiner Aufgabe als Held, der die Welt retten und dabei unermesslich leiden muss, von Architekten, Umbra und DEM STEIN, der offenbar enorm wichtig sein muss, wenn er schon mit klemmender Feststelltaste eingeführt wird.
Bevor ich vom Boot falle und in dem Meer aus Exposition ertrinke, schickt mich die mysteriöse Frau dann wieder zurück in die Realität und verpasst mir einen Ersatzarm, der hoffentlich nicht nur deshalb so grell leuchtet, weil ich zu häufig die Taschentücher auf meinem Schreibtisch benutzt habe. Ein paar dramatische Action-Szenen später haben es Yuna, Chani und ich in einen Zug geschafft, der die letzte Bastion der Menschheit sowie den Hub des Spiels darstellt, und von dem aus das Trio nun alles daran setzt, die lila Mauer zu zerstören und die Apokalypse aufzuhalten, um wieder zur Normalität zurückzukehren. Damit ist der Grundstein der nicht besonders originellen, aber trotzdem unterhaltsamen Geschichte von Eternights gelegt und nach dem äußerst linearen Intro gibt mir das Spiel endlich die Zügel und die versprochene Gameplay-Mischung aus Dating-Sim und Dungeon-Crawler in die Hand.
Kalendarisches Kennenlernen
Fangen wir doch mit dem Visual Novel-Aspekt von Eternights an, denn was bedeutet schon die Rettung der Welt, wenn sich endlich die Chance auf ein erfülltes Liebesleben bietet? Doch weil die Apokalypse natürlich ihre Spuren hinterlassen hat, ist die Auswahl an potenziellen Dating-Partnern überraschend klein, wenn auch bemerkenswert progressiver als bei der eingangs erwähnten Vorlage Persona. Neben dem Popsternchen Yuna sind auch die Wissenschaftlerin Sia, die Sportlerin Min und der unsterbliche Yohan bereit dazu, inmitten der Apokalypse Händchen zu halten oder feuchte Lippenbekenntnisse auszutauschen.
Eure Freizeit ist dabei, wie sollte es anders sein, mithilfe eines Kalendersystems unterteilt. Tagsüber könnt ihr mit einem der vier romantisch interessierten Charakteren oder eurem treuen Wing-Man Chani Zeit verbringen und eure Beziehungen vertiefen, was über Dialoge oder kurze Kampfesausflüge stattfindet, wobei letztere wie Mini-Versionen der Hauptmissionen ablaufen. Die steigende Bindungsstufe verbessert eure Chancen in der Liebe und lässt eure Begleiter aktive Fähigkeiten oder passive Boni lernen, die euch beim Kampf gegen die Monster zugutekommen.
Abends steht es euch derweil frei, einen eurer vier Sozialwerte zu erhöhen, eure Statuswerte für den Kampf zu trainieren oder die zerstörte Stadt auf der Suche nach einem hilfreichen Item zu durchkämmen und so nicht nur euren Teammitgliedern eine Freude zu machen, sondern auch abermals eure Kampffähigkeiten zu schärfen. Letzteres klingt leider spannender als es ist: Ihr entscheidet euch, entweder die Bibliothek, das Lagerhaus oder den Supermarkt zu besuchen, und müsst dort mit leuchtenden Stellen interagieren, um den gewünschten Gegenstand zu finden.
Weil die Ansammlung beliebig wirkt, ist das zu Beginn reiner Trial-and-Error. Immerhin bleiben die Fundorte gleich, sodass ihr mit ein bisschen Memory-Übung schnell raus habt, wo sich was befindet. Auch die anderen Minispiele, etwa das Katalogisieren von roten und blauen Zellen oder das Kontrollieren des Atems durch abwechselndes Drücken und Wiederloslassen der X-Taste, sind lahme Versuche, für spielerische Abwechslung zu sorgen. Glücklicherweise ist ein Großteil dieser Aktivitäten entweder optional oder nimmt zumindest nur einen Bruchteil der Spieldauer ein und bleibt so unspektakulär, aber harmlos.
Wenn ich mir deinen Kommentar so durchlese, muss ich das mit der Spielzeit wohl missverständlich formuliert haben. Die ist nämlich keineswegs als solche ein Kritikpunkt gewesen, ganz im Gegenteil. Im Fazit schreibe ich ja, dass das Spiel gut daran getan hat, nicht länger gewesen zu sein, sonst wäre das Gameplay wohl auf Dauer zu monoton geworden. Und die beiden Erwähnungen im Text sollten eigentlich reine kontextuelle Einordnungen sein: Einmal zu den Figuren, die angesichts der Spiellänge nunmal nicht mehr Raum zur Charakterentwicklung bekommen konnten. Und einmal zu den schicken Standbildern, von denen ich mir mehr gewünscht hätte, die aber bei einer kürzeren Spiellänge eben auch nicht im Dauerfeuer erfolgen sollen, damit sie nicht ihre "Besonderheit" verlieren. Nur nochmal als zusätzliche Einordnung, da das aus dem Test offenbar nicht klar genug hervorgegangen ist. Hätte ich die Spielzeit wirklich als zu kurz empfunden, wäre das auch als Contra-Punkt in der Liste aufgetaucht, aber ich habe da eine ganz ähnliche Meinung wie...
69 ist doch nicht negativ. Ein Befriedigend das nah am Gut ist. Passt doch zu so einem spiel von einem kleinen Studio mit begrenzten Mitteln. Kann man jetzt kaum Wertungen vergeben die an Persona ranreichen
Kann diesen Test, wie auch generell die recht negativen Wertungen nicht nachvollziehen. Fand das Spiel vom 1. Kontakt auf Steam vor paar Wochen extrem poliert und sehr gut ausbalanciert. Gerade die Spielzeit als Kritikpunkt kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Wieder ein klassischer Fall, warum viele Spiele so ätzend gestreckt werden, weil es sonst offensichtlich sofort ne dicke Abwertung gibt.
Das Verhältnis von Metawertungen zu Userwertungen passt hier auch vorne und hinten mal wieder nicht zusammen. Scheint nach Spielen wie KDCD oder Alien: Isolation wohl mal wieder ein kollektives Opfer der Magazine zu werden, während es von den Spielern gefeiert wird. Zeigt mir leider nur abermals, das ich Kaufentscheidungen wirklich nicht mehr anhand von Tests oder gar Wertungen treffen brauche.
Btw. kostet es ja auch gerade mal 30€ zum Release. Irgendwelche 80€ Releases kriegen auch mal annähernd 90er Wertungen, obwohl sie nicht mal ansatzweise so gut poliert waren. Und gerade wenn ich in dem Bereich von AAA Titeln wieder gucke, wie viel davon in den letzten Jahren einfach künstlich auf 20 oder 30 Stunden gestreckt wurde, empfinde ich das schon als beleidigend, denn das macht die Spiele nicht besser, sondern sogar erheblich schlechter. Diesen Kritikpunkt solltet ihr wirklich dringend auf den Prüfstand schicken.
Danke für den Test. Eigentlich passt das Spiel zu meinem Beuteschema aber leider ist es dem Persona Fan nicht soo gut gelungen, dass Spiel zu "kopieren".
Vielleicht irgendwann mal für einen 10er reinschnuppern