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Frostpunk 2 im Test: Auf das Eis folgt ein neues Monster namens Menschheit

Sechs Jahre lang haben Fans auf diese Fortsetzung gewartet: Wir verraten euch, wie gut Frostpunk 2 geworden ist und welche Neuerungen euch erwarten.

Screenshot-Montage von Frostpunk 2. Im Hintergrund ist die Stadt zu sehen, im Vordergrund ein Charakter mit Fliegerbrille.
Die höllische Kälte ist wieder da: Wie gut schlägt sich Frostpunk 2 im Test? Credit: 11 bit Studios / Adobe Photoshop [M]

Es klebt mehr Tinte an euren Händen als Blut in Frostpunk 2

Das Kernstück des Spiels ist die Storykampagne, die sechs Kapitel – ein Tutorial und fünf Missionen – umfasst. Während die Kampagne von Frostpunk mit vier Stunden als recht anspruchsvoll, aber kurz galt, verdoppelt oder verdreifacht Frostpunk 2 diesen Umfang (je nach Spielweise, Skill und Schwierigkeitsgrad). Was besonders cool ist: Von Anfang bis Ende kontrolliert ihr dieselben Hauptstädte und irgendwann auch mehrere Kolonien nebenbei. Schneestürmen trotzen, eine Technologie bergen, Bürgerkriege ausfechten – in jedem Kapitel wartet eine bestimmte Aufgabe auf euch. Häufiges Scheitern und Neustarten gehören dazu.

Das Multitasking, das Gesellschaften, das Aushandeln hat nun einen viel größeren Raum als der Kampf gegen die Kälte. Eigentlich hatte ich gehofft, dass die Hölle vielleicht neue Saiten aufzieht, neue gefährliche Auswüchse oder Erscheinungen bietet (Nein, keine Eiszombies), aber die Kälte bleibt eben Kälte – und Hitze hilft meist dagegen. Aber ich betone: Frostpunk 2 ist mehr ein Wirtschafts- als ein Survivalspiel.

Die Umwelt ist zweitrangig. Wenn ihr scheitert, liegt es an der Struktur eurer Sektoren und nicht direkt an euch. Es liegt an zehn falschen Entscheidungen und nicht an einer. Und dieses Mal betreffen die Entscheidungen mehr die Gesellschaft als direkt Menschenleben.

Das neue Chaos, das ihr kontrollieren müsst, lauert im Rat. Je nach Konstellationen könnt ihr andere Technologien erforschen, müsst aber auch neue Konflikte schlichten. Ich stelle euch kurz ein paar Fraktionen vor, mit denen ihr es zu tun bekommen könnt:

  • Händler streben nach Profit
  • Eisländer streben nach Lösungen, mit dem Frost zu leben
  • Ordnungswahrer streben nach Lösungen, den Frost zu besiegen
  • Technokraten streben nach Technologien
  • etc.

Je länger ihr spielt, desto mehr Pattsituationen werden auf politischer Ebene entstehen. Wenn niemand mehr eine Mehrheit für ein Gesetz zusammenbekommt, kommt es zu Frust – und damit zu Radikalisierungen. Dadurch können sich verschiedene Fraktionen zu neuen Gruppierungen zusammenschließen, die keine Kompromisse mehr kennen.

Meine Favoriten: Die klugscheißerischen Hipster-Freidenker und die martialischen Mad Max-Eisblüter. Auf lange Sicht werdet ihr im Endgame zwei radikale Parteien davon abhalten müssen, sich gegenseitig zu zerfleischen. Dazu bedarf es, die Waage immer wieder auszugleichen – und rechtzeitig Proteste zu unterbinden. Klimatechnisch gibt es nur noch eine Jahreszeit, nämlich Winter, aber gesellschaftlich könnt ihr alle drei Monate mit einem gesellschaftlichen Problem rechnen. Das ist genauso zermürbend wie großartig.

Eine große Schwäche bleibt bestehen

Womit wir zu einer Schwäche der Reihe kommen, die in Teil 2 noch deutlicher zu Tage tritt: Die minimalistische Darstellung. Viele Ereignisse werden in Frostpunk 2 nur durch Berichte vermittelt, aber im Spiel nicht entsprechend dargestellt. Ja, die Stadt wuselt und blinkt vor sich hin, aber wenn von hunderten Toten die Rede ist, würde mir das schon mehr an die Nieren gehen, wenn man mir auch die Leichen vors Gesicht halten würde – so ist es nur eine Zahl, die ich zur Kenntnis nehme, bevor ich zum nächsten Tagungsordnungspunkt fortschreite. Die Übersichtlichkeit leidet im Endgame auch etwas.

Frostpunk 2 versteht es genauso wie Teil 1, packende Geschichten mit Textboxen und Zahlen zu erzählen, aber der höhere Scope entfernt euch nun noch mehr von den einzelnen Menschen. Es geht nicht mehr darum, die Menschheit zu retten, sondern sie aufwachsen zu lassen. Oder mit anderen Worten: Ihr habt mehr Gründe und Ausreden als früher, hinter denen ihr euch verstecken könnt und mit denen ihr Verluste rechtfertigen könnt. Alles ist etwas formeller.

Frostpunk 2 mit viel Potenzial mit vielen offenen Fragen

Frostpunk hatte ein Problem zum Release: Es war viel zu kurz. Nach dutzenden DLCs ist das Spiel nun eine gelungene Packung voller anspruchsvoller Missionen. Frostpunk 2 hat dasselbe Problem. Mit der Storykampagne, die zwar mehrfach gespielt werden kann, und dem Sandkastenmodus (der nur drei relative ähnliche Spielziele hat), ist das Buffet aktuell noch sehr überschaubar.

Die Wiederspielbarkeit und Tiefe der Reihe hängen von den Herausforderungen ab – es gibt zwar viele neue Mechaniken, aber noch nicht genügend Missionen, um sie zur Gänze auszukosten oder zu meistern. So hatte ich das Gefühl, dass Frostpunk erst mit den Missionen “Der letzte Herbst” und “Der Fall von Winterheim” vollendet war. Diese Missionen fehlen noch für Frostpunk 2, sollen sich aber schon auf dem Weg befinden.

Für mich bleiben ein paar Fragen offen: Sind manche Features mehr Schein als Schein und warten noch auf ihre richtigen Missions-Momente? Warum sind Kolonien nur Ressourcengeneratoren, aber keine Städte mit eigenen Problemen und Debatten? Werden neue Umweltkatastrophen dazu kommen? Werden Bürgerkriege noch komplexer oder bleibt es dabei, eine Zahl von Widersetzenden auf Null zu senken?

Warum wurden die Anzeigen “Hoffnung” und “Zufriedenheit” gegen eine einzige namens “Vertrauen” ausgetauscht – ist das System unterhalb dessen immer noch dasselbe oder wurde es vereinfacht? Ich bin großer Fan der Basis von Frostpunk 2, aber umso neugieriger macht mich deshalb auch seine Zukunft. Es ist ein großartiges Spiel, aber es ist noch nicht vollendet.