Mysteriöse Sogwirkung
Auch wenn es kaum Animationen und nur seltsam geisterhafte Bewegungen in Schultersperspektive gibt: Heaven’s Vault entfaltet eine ähnliche Sogwirkung wie anno dazumal Outcast oder Myst, denn es zeigt auf der Ebene der Einbindung von Schrift in das Spieldesign die Eigenschaften eines kreativen Pioniers. Das Entziffern der uralten Sprache macht Spaß, weil sie so verblüffend komplex ausgearbeitet ist, weil sie über ihre Symbolik schon teilweise Hinweise auf die Bedeutung gibt und weil die Erweiterung des eigenen Wortschatzes so klasse mit der Erkundung der Welt verwoben ist, die ihre Vergangenheit erst Stück für Stück öffnet. Die Symbiose aus Rätselei und Erzählung gelingt hier besser als in The Witness. Das schätze ich zwar immer noch sehr, aber dort entstand eine viel größere Kluft zwischen Erspieltem und Erzähltem, dort wirkte einiges philosophisch interessant, aber auch zu abstrakt und verkopft.
Hier trägt die authentische historische Chronologie mit dazu bei, dass man wirklich das Gefühl hat, schrittweise eine gewachsene Kultur zu durchdringen. Es gibt ja nicht nur Artefakte aus einer Epoche, sondern aus mehreren Zeitaltern einer rätselhaften Zivilisation
inkl. diverser Phasen wie Mittelalter, Antike und Frühgeschichte. Und all das deckt man auf und verbindet es wie ein archäologischer Pionier! Es ist verblüffend, mit wie vielen Eckdaten die tausende Jahre zurückreichende historische Leiste gefüllt wird – die man übrigens genauso komfortabel durchstöbern kann wie die Textfragmente.
Im Nebel verborgen
Wie läuft das mit der Reise? Zu Beginn liegt noch vieles im Nebel verborgen, gibt es lediglich wenige Routen. Aber durch Dialoge, Funde und Entzifferungen wird die Weltkarte um weitere Orte ergänzt, auf denen man exotische Märkte, Statuen alter Götter, abgestürzte Raumschiffe, idyllische Gärten, vergessene Tempel sowie monumentale Anlagen findet. Zwar sind die Areale meist sehr klein, außerdem muss man visuell wie gesagt viele Abstriche machen – da sind The Witness oder gar ein Rime zwei technische Klassen voraus. Aber all diese Orte tragen langsam auf mehreren Ebenen zu weiteren Erkenntnissen bei: Wo ist Renba? Was verschweigt die Professorin? Was haben alte Götter, der Glaube an Wiedergeburt und Roboter mit all dem zu tun? Und was ist die Dunkelheit, die angeblich alles bedroht?
Man muss all die Orte erstmal finden, denn manchmal ist lediglich ein Radius kartiert. Allerdings ist das Fliegen mit dem nach links
und rechts Navigieren, bei dem man trotz der Felsenkollisionen keinen Schaden nimmt, auf lange Sicht öde – da freut man sich, wenn man es beschleunigen kann oder vom Schiff aus manchmal direkt zu einigen Orten teleportieren kann. Aber auf dem Weg zum Ziel kann man auch zufällig Ruinen mit weiteren Artefakten finden, es gibt zumindest einige malerische Ausblicke und es kommt auch in diesen Situationen der Reise eine weitere Stärke zum Tragen: die hervorragenden Dialoge. Schon in Sorcery! und 80 Days haben die inkle Studios ihre erzählerische Klasse gezeigt, hier demonstrieren sie aufs Neue, wie gut sie natürliche Gespräche inszenieren und dezent visualisieren können.
Natürliche Gespräche
Zwar kann man lediglich auf Knopfdruck etwas nachfragen, kommentieren oder gar nichts sagen, es gibt also kein thematisches Multiple-Choice mit Vorauswahl, aber die Dialoge mit Six sowie anderen Nicht-Spieler-Charakteren sind nicht nur klasse geschrieben, sondern geben einem viel Raum zwischen Höflichkeit, Frechheit und Sarkasmus, so dass immer wieder köstliche Situationen entstehen – ich habe selten so gerne in einem Spiel gelesen, auch wenn leider alles bisher nur auf Englisch verfügbar ist. Außerdem haben diese Antworten spürbare Konsequenzen, denn man kann lügen oder sich Einladungen verweigern, kann sich auf Flirts einlassen oder einen über den Durst trinken. Diese Gespräche werden zudem auf elegante Art während eines Spaziergangs oder einer Untersuchung eingeblendet; so entsteht fast beiläufige, aber immer auch unterhaltsame und infomative, teilweise sogar verblüffende Konversation: Manchmal fragt man sich, ob Six jetzt gerade wirklich diesen Gedanken hatte? Das Erstaunliche liegt also nicht nur im Übersetzen von Texten, sondern auch im Zuhören einer sich entfaltenden Persönlichkeit sowie Geschichte.
Sowohl der Roboter Six als auch andere Figuren, wie etwa Aliyas Freund Hang in der Bibliothek, tragen dazu bei, neue Worte zu finden, bisher Unübersetztes abzugleichen oder andere Übersetzungen auszuschließen, die dann durchgestrichen werden. Allerdings habe ich ein Wörterbuch zum Nachschlagen vermisst.
Es gibt übrigens auch klassische Rätselsituationen, in denen man mit einer Waffe oder einem Werkzeug eine Tür öffnen, einen Mechanismus bedienen oder einen Gegenstand irgendwo einsetzen muss, aber es gibt kein Inventar oder Kombinationen – hier lässt Heaven’s Vault einiges an Potenzial liegen, auch was die Interaktion an Bord der Nightingale betrifft, auf der zu wenig passiert. Man kann sich lediglich einige Dinge anschauen oder zur Schnellreise in die Hängematte.
Dafür will der Austausch von gefundenen Artefakten auf dem Schwarzmarkt wohl überlegt sein: Was gibt man welchem Händler? Wie viel verrät man über alte Orte? Hinzu kommen zumindest leicht inszenierte akrobatische Pseudo-Einlagen, wenn es darum geht, einen Graben zu überspringen, eine Rampe hinunter zu schliddern oder bei schlechter Luft einen sicheren Ort zu finden. Auch wenn man theoretisch scheitern kann, wirkt die Einblendung der sonst irrelevanten Lebenspunkte vollkommen überflüssig. Hier bemerkt man an einigen Stellen in Form der spielmechanischen Brüche und Defizite, dass die inkle Studios viel mehr wollten, aber von Konzept und Technik limitiert waren. Den PC hat man dabei übrigens besser im Griff als die PS4, auf der es auch ab und zu Bildratenprobleme gibt. Ich hoffe, dass diesem kreativen Team in Zukunft mehr Möglichkeiten eingeräumt werden. Man stelle sich vor, so eine Art Adventure würde von einer modernen Engine befeuert!
Ohne deutsche Lokalisation ist es halt für viele Spieler nicht zu gebrauchen.
tolles Spiel. Könnt gut mein Goty werden. Die mischung aus Rätseln, Erkunden und spielerisch recht simpler Graphic Novel hat mir sehr gut gefallen. Atmo, Charaktere, Design, Musik sind auf höchstem Niveau....... Auch wenn es kein komplexes Spiel ist, hat es ne unglaubliche Neugierde und Faszination erzeugt.
Schlechte Nachrichten für Interessierte auf GoG, dort wurde das Spiel abgelehnt:
https://twitter.com/inkleStudios/status ... 6765259776
Kann mich der Wertung so nicht anschließen.
Das Spiel hat sicherlich Stärken, die ja auch im Test erwähnt werden, aber es ist derzeit leider nicht so gut wie Jörg hier suggeriert.
Meine Eindrücke nach dem durchspielen (PC Version):
Die schwachen Animationen, Gestik und Mimik sowie generell die Umgebung in der man sich bewegt wirken veraltet bzw. technisch überholt. Für mich jetzt kein Problem, allerdings die Flugsequenzen zwischen den einzelnen Monden sind spätestens nach der hälfte der Spielzeit nur noch dazu da die Spiellänge zu strecken, in einzelnen Passagen kann das echt sehr frustrierend sein. Es gibt zwar die Möglichkeit manchmal schnell zu Reisen, wird aber nicht vernünftig ungesetzt und funktioniert nur für die Hauptmonde.
Was ebenfalls nervt sind manche "Pseudo-entscheidungen" und ihre Konsequenzen die teilweise nicht logisch sind. Beispiel: auf der oberfläche trigger ich etwas was dazu führt das ich den Mond verlassen muss... und kann ihn dann auch nicht wieder besuchen obwohl ich vieles noch nicht erkundschaftet habe... werde also aktiv am Forschen gehindert (ist mir sogar mehrmals passiert).
Dadurch das es nur einen Speicherstand gibt kann auch nicht nochmal die Stelle geladen werden um es anders zu machen. Dem einen mag es so gefallen ich fand es in vielen Situationen als ärgerlich.
Warum auch nur ein Bruchteil der Texte vertont wurde bleibt mir ein Rätsel... nichtmal die Hauptperson die man spielt wurde voll vertont. Die Dialogoptionen sind auch eher simpel zwischen "Question" und "Remark".
Teile der Story blieben nach zweimaligen durchspielen (New Game + mit längeren Sätzen zum entschlüsseln aber mit aus dem vorherigen Spielstand übernommenen gefundene Wörter) immernoch unklar, außerdem empfand ich das Finale als sehr schwach.
Immerhin würde ich noch 72 punkte geben.
Leider ist auch kein GOG-Release geplant, weshalb ich mich mit der Kaufentscheidung noch etwas ziere, auch wenn ich das Spiel schon lange auf der Watchliste habe...