Balanceakt zwischen Wänden und Welten
Das Spielprinzip erinnert an das von Lazy Raiders: Mit dem linken Stick kann der Protagonist ein wenig nach rechts oder links laufen. Statt zu springen, plumpst er lediglich von Abhängen – natürlich möglichst ohne in den zahlreichen Stacheln zu landen – ein Kontakt mit ihnen, einem pulsierenden Blob sowie anderen Gefahren schickt ihn sofort zurück an den Anfang des Levels. Um trotzdem durch die verwinkelten Labyrinthe zu gelangen, kann ich mit dem rechten Stick die Schwerkraft ändern. Ein Druck nach rechts und schon düse ich an die entsprechende Wand, so dass ich plötzlich an der Seite des Bildschirms oder an der Decke stehe. Dazu kommen einige themenspezifische Mechaniken. Jede Welt des klassischen Plattform-Knoblers führt eine neue Facette der Gefühle und Strategien ein, die dem Helden auf seinem letzten Weg begegnen: Früher fürchtete er sich z.B. vor der Dunkelheit und muss nun auch im Spiel der alten Phobie ins Auge blicken – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Immer wieder drehe ich mich beim Lauf über die Plattformen um und schaue zur automatisch scrollenden finsteren Nebelwand, die mich sonst wie in Nihilumbra verschlucken würde.
Anderswo verfolgen mich rot pulsierende Kreise, welche Wut oder auch Neid auf die längere Lebenszeit der anderen symbolisieren. Als Vorbild dient das Modell der „Fünf Sterbephasen“ der Forscherin Elisabeth Kübler-Ross, das die psychologischen Vorgänge im Zusammenhang mit dem nahenden Tod in fünf Phasen zusammenfasst: Verleugnen, Zorn, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Natürlich gibt es große individuelle Unterschiede, aber aus ihren Gesprächen mit Probanden fasste sie wiederkehrende und aufeinander folgende Verhaltensmuster in diesem Modell zusammen, welches Entwickler gentlymad aus Trier in Spielform interpretiert hat.
Nachdenkliche Metaphern
Die Verknüpfung von Spieldesign und den Gedanken des Protagonisten ist den Entwicklern sehr unaufdringlich gelungen und regt zum Nachdenken an. Während ich mich durch die kniffligen Puzzles arbeite, sinniert im Hintergrund der angenehm sonore deutsche Sprecher aus der Ich-Perspektive über die Implikationen seines bevorstehenden Todes: „Ich hatte mir so viel für diese Familie vorgenommen. Und jetzt war ich das Problem.“ Immer wieder bricht der Hintergrund auf und es gibt Rückblenden zu sehen. Obwohl die Zeichnungen nicht immer stilsicher wirken, untermalen sie die Gedankengänge auf stimmungsvolle Weise. Mal geht es um den Tod nahe stehender Personen, anderswo um Kindheits-Erlebnisse. Als er noch jung war, hasste mein Alter Ego es z.B., dass sein Vater alles in sich hineinfraß, statt auch mal berechtigterweise loszupoltern, wenn sein Sohn etwas ausgefressen hatte. Wie sich im Spielverlauf herausstellt, hat er die Verhaltensweise aber übernommen: Seiner schwangeren Ehefrau gegenüber verschweigt er zunächst seine Krankheit und die damit verbundenen Schmerzen, um sie nicht übermäßig zu belasten.
Auch Wut wird angesprochen – sie zeigt sich hier in rot glühenden, umher wabernden Kreisen, die sich aber mit Schaltern in andere Bahnen lenken lassen. Oder ich muss ähnlich wie in Super Mario 3D World gleichzeitigt einem Doppelgänger steuern. Auch die Schwerkraft umkehrende Felder sind dabei: Manchmal bugsiere ich eine Kiste eine ganze Weile lang durchs mit Fallen gespickte Labyrinth, um sie auf einen Schalter zu befördern.
Tausend Tode
Eine Reihe Mechaniken wurden schön miteinander vermischt, doch leider hapert es am Feinschliff: Die meisten Levels wurden derart mit Fallen und Stacheln vollgestopft, dass jeder Fehltritt sofort zum Tod führt und ich manche Levels daher Dutzende Male angehen musste. Ich habe nichts gegen einen kniffligen Schwierigkeitsgrad, aber hier ist einfach zu viel Trial & Error nötig.
Da es weder Speicherpunkte, noch eine Energieanzeige gibt, wird es bereits in der dritten Welt oft ziemlich mühsam. Selbst, wenn ich bereits einige Rätsel bereits gelöst habe, muss ich mich wieder und wieder hindurch arbeiten, um zurück an den Punkt des Scheiterns zu gelangen. Erschwert wird der Balanceakt durch die rein digitale Steuerung – seltsamerweise darf man auf dem 360-Controller aber trotzdem nur mit dem Analogstick steuern. Statt sich also langsam an gefährliche Stacheln anzupirschen, kommt es manchmal zu unverschuldeten Toden. Erfreulicherweise darf man pro Welt ein paar nervige Levels links liegen lassen und schaltet schon vorher den nächsten Bereich frei.
Zweiteres wäre in der Tat ziemlich absonderlich. Aber das hat ja auch nie irgendjemand zur Debatte gestellt. Auch das hier besprochene Spiel macht, so denke ich, nicht das Identifikationsangebot "Sei ein Krebspatient" (wie absurd das schon klingt!), sondern vielmehr "Lerne die Perspektive eines Krebspatienten kennen". Da ist überhaupt nichts fragwürdiges dran - eher im Gegenteil.
Find eben das geistig...
Desweiteren hast Du ja in Deinem ersten Post die Frage gestellt "Warum muss man in einem Segment, welches eigentlich dazu dienen sollte für ein paar Stunden aus dieser schlimmen Welt auszubrechen, solche Thematiken spielerisch aufgreifen?". Diese Frage ist, auch wenn Du den Wunsch äußerst dies zu verstehen, bereits nicht sehr wohlwollend formuliert. Davon, dass Spiele sowas müssen, war nämlich nirgends die Rede. Es wurde in den ersten Posts vielmehr begrüßt, dass sie sowas mittlerweile auch tun. Zudem hatten da bereits zwei Leute erklärt, dass sie diese eher schwere Thematik aufgrund ihrer jeweiligen persönlichen Biographien im Rahmen eines Spiels interessant finden. Was ist denn daran dann noch so schwer zu verstehen?
Zudem ist es tatsächlich sehr einseitig, wie Du Deine subjektive Meinung zu diesem Thema normativierst. Wer sagt denn, dass ein Spiel "eigentlich dazu dienen sollte für ein paar Stunden aus dieser schlimmen Welt auszubrechen"? Ja gut, Du vielleicht. Ist ja auch eine legitime Ansicht. Aber warum muss man die gleich so verabsolutieren, bzw. die "Normalität" von davon abweichenden Standpunkten infrage stellen? Ja meine Güte, dann gibt es halt Leute, die in Spielen (auch!) noch ganz andere Potenziale sehen, als lediglich angenehmen und erholsamen Eskapismus. Daraus ergibt sich doch überhaupt kein Problem, weder für Dich noch für besagte Leute. Ein Problem ergibt sich erst, wenn einer (und das warst in dem Fall Du) damit anfängt, zu hinterfragen inwiefern die Vorliebe des jeweils anderen noch "normal" sei.
Ich zum Beispiel verstehe den Reiz an World of Warcraft nicht, aber deshalb würde ich doch nicht Leute, die das gerne spielen, dazu auffordern die "Normalität" ihrer...
Es gehört zu unserem Leben dazu und ist auch völlig normal, dass der Mensch einen Blick, eine andere Perspektive einnehmen möchte, um bestimmte Thematiken besser verstehen zu können. Und es gibt nunmal auch Menschen, die den Blick bewusst auf für sie unangenehme Themen richten. Aus welchen Gründen das passiert, ist sogar relativ zweitrangig...
Alternativ kannst du auch versuchen, das Spiel von der anderen Perspektive, z.B. eines Entwicklers, zu sehen: Es besteht die Möglichkeit, dass das Spiel auch eine Aussage vom Entwickler ist, um mit der Thematik umgehen zu können. Sowas ist mit anderen Medien auch nicht gerade ungewöhnlich (z.B. schreiben auch viele darüber) und bei Spielen auch nicht das erste Mal, mit unangenehmen Thematiken umzugehen (siehe z.B. Papo & Yo, oder The Binding of Isaac).
Ich möchte gerne mehr dazu schreiben, vermute aber, dass ich bei dir dabei auf Taube Ohren stoße. Deine Frage ist schließlich auch bewusst provokativ formuliert ("Den Wunsch hegen" ist nicht annähernd dasselbe, wie "eine andere Perspektive einnehmen"...). Kommt offen gestanden ziemlich kalt rüber, wie du sie formulierst...