Das gilt es in einem Abenteuer herauszufinden, das die freie Erkundung in ansehnlicher Kulisse und das Experimentieren mit Maschinen, Konstrukten, Schaltern & Co in den Vordergrund stellt, wobei der Rätselanspruch gefühlt mit jeder Stunde zunimmt. Das erinnert an was? Richtig: An das klassische Grafik-Adventure à la Myst. Nur dass man sich heutzutage nicht mehr statisch von Bild zu Bild bewegt, sondern die Landschaft in Egosicht durchwandert. Allerdings ist das nicht ganz so modern wie es klingt, denn man kann lediglich spazieren oder rennen, aber weder irgendwo klettern noch hinauf oder hinab springen oder gar ins Wasser, so dass man oftmals vor unsichtbare Wände tritt und selbst bei kniehohen Hindernissen nur künstlich anmutende Rampen nutzen kann. Aber für Akrobatik gibt es ja Mirror’s Edge.
Die offene Kulisse ist sehr ansehnlich, was die Architektur, das Licht sowie die vielen liebevoll arrangierten Orte betrifft, aber sie kommt nicht an die visuelle Pracht eines The Vanishing of Ethan Carter in der Natur oder die unheimliche Detailverliebtheit eines Everybody’s Gone to the Rapture im Interieur heran. Hinzu kommt, dass man nur sehr selten und manchmal willkürlich mit Gegenständen interagieren kann: Warum darf ich diese eine unwichtige Kanne aufnehmen und als drehbares 3D-Objekt untersuchen, aber nicht den interessanten Koffer öffnen? Ist aber nicht so schlimm, denn dieses Obduction ist kein Spiel im Stile alter Point&Clicks – es gibt also weder ein Inventar noch Itemkombinationen. Dafür findet man viele Notizen von den Bewohnern, die zwar auch konfus anmuten, aber nicht nur die Erzählung bereichern, sondern auch Hinweise geben: Oder wie sollte man sonst ein außerirdisches Zahlensystem entschlüsseln?
Domino-Effekte
Statt zu sammeln und zu kombinieren rätselt man also in der Umgebung mit – meist – logischen Mechaniken. Und das macht durchaus Spaß, denn man öffnet Stück für Stück verschlossene Bereiche oder aktiviert neue Möglichkeiten. Es geht also nicht um den einen situativen Aha-Effekt, sondern um teilweise weit reichende Domino-Effekte, die neue Interaktionen anstoßen: Wenn man erstmal den Strom angeschaltet hat, kann man natürlich auch so manche Schalter bedienen und z.B. die fahrbare Lore mit ihrem blauen Laser besteigen, die wiederum rote Felsen zerstört, was einem neue Wege öffnet. Und spätestens wenn man die blauen Wände durchschreiten und als Abkürzungen nutzen kann, hat man sehr viele Orte zur Auswahl…wo konnte man nochmal dieses Tor öffnen? Wie kommt man unter den Baum? Wo gibt man den Kellercode verkehrt rum ein? Zumal in Obduction keine blinkenden Hinweisrahmen oder Zielmarker anzeigen, wo man interagieren kann – sehr schön! Erst wenn sich das Kreisvisier der Maus füllt, kann man etwas machen; schlicht und elegant gelöst.
Die Freiheit hat ihren Preis: Man ist froh, dass man permanent sprinten kann, aber man wünscht sich insgeheim ein Jetpack. Denn man ist sehr viel mit dem Laufen oder Fahren auf der Lore beschäftigt, das aufgrund der Weichenstellungen zumindest zu Beginn ein kleines Rätsel darstellt: Wie komme ich mit Blick nach vorne von A nach B, um das Ziel mit dem Laser ins Visier zu nehmen? So befriedigend Obduction in den Momenten ist, in denen man etwas löst, so dröge und statisch kann es in den Phasen dazwischen wirken. Es entsteht immer mal wieder Leerlauf, auch weil es keine klaren Aufgaben gibt. Oder doch? Da hilft nur: Pause machen, am nächsten Tag weiterspielen, denn man hat bestimmt etwas übersehen.
Die Regie führt einen nur behutsam über Cecils Anweisungen, und es ist cool, dass er bei Rückfragen immer anders reagiert. Es gibt jedoch keinen roten Faden, kein Tagebuch und keine einsehbaren Aufgaben. In dieser Hinsicht ist Obduction
angenehm altmodisch, denn man muss geduldig sein und einfach überall experimentieren, aber ihm fehlt auch die Rätseldichte eines The Witness oder eines The Talos Principle, wo man immer etwas zu tun hatte. Entschädigt wird man wiederum durch die langsam wachsende Dimension der Rätsel, die sowohl an Anspruch und visueller Pracht gewinnen als auch mehrere Orte für die Lösung miteinander verbinden. Außerdem sorgt das zu Beginn kitschig anmutende Science-Mystery-Thema mit den menschlichen Schicksalen für eine gewisse emotionale Anbindung – man will selbst fliehen, aber auch erfahren, was mit den Leuten passiert ist. So entsteht kein so starker Bruch wie im abstrakteren The Witness zwischen Denksportmarathon und philosophischer Erzählung.
Eine VR-Wertung hätte ich auch gerne mal. Hab das mit der Brille mal angezockt und es macht durchaus Laune und saugt einen noch mehr in die Welt, wie es das Spiel ohnehin schon tut. Allerdings konnte ich leider keinerlei Manuskripte lesen, die Schrift ist dann einfach unleserlich.
Vielleicht ist es ja aber auch korrekt, weil die Charaktere samtweich sind.Hier noch ein Schreibfehler im Test:
Na wo ist sie denn, die Wertung für Oculus Rift?
PS: Aktuell gratis im Gog-Sale zu haben!
Ok, das kann ich sehr gut nachvollziehen, würde mich auch sehr nerven.
Das hat insofern mit Obduction zu tun, da Obduction das neue Myst ist, auch wenn es jetzt einen anderen Namen trägt. Das ist vergleichbar mit Banjo & Kazooie und Yooka & Laylee. Yooka & Laylee ist das neue Banjo & Kazooie, nur mit anderen Figuren, selbst die Entwickler sind die selben.
Die klassischen Myst-Spiele boten keine weltenübergreifenden Rätsel, sowas fände ich dann aber auch sehr nervig und kann daher in diesem Punkt deine Kritik nachvollziehen. In den klassischen Myst-Spielen sind die Rätsel innerhalb einer Welt, denn jede Welt hat ihr eigenes Thema. Riven und Myst 3 sind meine beiden absoluten Lieblingsteile der Myst-Reihe, davon ein Full HD-Remake würde ich echt feiern.