Gestatten, Siegfried
Siegfried V. Hammerstein ist ein Abziehbild: Der blonde Hühne mit der blauen Rüstung reiht sich nahtlos ein in eine Riege stereotyper Testosteron-Brocken – irgendwo zwischen Manowar-Plattencover, Wrestlern wie Ultimate Warrior oder Lex Luger und pixeligen Retro-Helden à la Bill Rizer (Contra). Mit dicken Knarren und unendlich Munition marodiert er durch ein monsterverseuchtes Mannheim (!), nachdem er seinen Auftrag (1. Kill, 2. Kill, 3. Kill) vom Forscher Hartmuth Griesgram erhalten hat. Sturmfront – The Mutant War: Übel Edition kommt zwar in englischer Sprache daher, doch Macher Sebastian de Andrade und sein Studio Andrade Games (das in Schwäbisch Hall angemeldet ist) können die Zuneigung zu markigen deutschen Begriffen nicht verbergen.
Im Spielverlauf ringt man Bosse mit Namen wie „Stadtverschlinger“ oder „Busenzuchtherrin“ nieder, die Level tragen die Bezeichnungen „Grabschande“ oder „Menschenmacherei“. Besonders albern bzw. geschmacklos (je nach Lesart) wird es gleich zu Spielbeginn, als man an Bordellen vorbeikommt, auf deren Neonschilder die Namen der Etablissements stehen: „Nonnenstoß“, „Gutes deutsches Hurenhaus“ oder „Tote Nutten“ sprechen eine sehr deutliche Sprache. In den Credits bedankt sich Andrade bei Metalbands wie Sodom und Slayer, aber auch bei der deutschen Kapelle Eisregen, die es mit thematisch ähnlich gelagerten Texten schon mehrfach auf den Index schaffte. Zu guter (schlechter?) Letzt geben sich die Macher im Abspann auch selbst Spitznamen wie „Blut Maler“, „Fleisch Verzerrer“ oder „Killerspielmacher #1“. Das kann man unangenehm, deplatziert oder pubertär finden, letztlich ist Sturmfront aber ein derart überzogenes Produkt, dass es auch als Parodie auf eine ganze Generation von Videospielen und Actionfilmen durchgehen könnte…
Ballern, von oben
Genug der Namen, so wird gespielt: Im Stil von japanischen Actionklassikern wie Capcoms Commando oder SNKs Ikari Warriors kämpft man sich aus einer Top-Down-Persepktive durch die Level. Dank Twinstick-Steuerung ist es problemlos möglich, in eine Richtung zu laufen, aber in die andere zu feuern. Apropos feuern: Siegfried teilt mit aufrüstbaren MGs, Raketenwerfer, einem an Contra erinnernden Spreadshot sowie seinem Flammenwerfer aus. Letzterer ist besonders wichtig, um Aliennester (aka Feindgeneratoren) auszubrennen, dafür ist allerdings Benzin nötig, das nur gelegentlich in Kanister-Form aufgesammelt werden kann. Ein markiges „Gasoliiiine“ des Ansagers erinnert Ballerfreunde an Metal Slug („Heavy Machinegun!“), auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad löscht der Flammenwerfer nicht nur Feinde, sondern auch feindliche Kugeln aus – so sehen auch Gelegenheitsspieler das letzte der fünf kurzen Levels. Spielerische Kniffe existieren kaum: Es gibt ein paar Portale zu Bonusräumen und einige zerstörbare Objekte – leider verzichtet Sturmfront auf eine Ausweichrolle ebenso wie auf einen Zweispieler-Modus. Beides boten spielerisch ähnlich gelagerte Titel wie Neo Contra oder das 2020 getestete Xeno Crisis.
In grafischer Hinsicht wandelt Sturmfront auf einem schmalen Grat zwischen Pixel-Trash und stimmungsvoller Retro-Liebeserklärung: Manche Feinde oder Objekte sind hübsch gepixelt, andere wirken arg blockig und billig. Das Spiel hat sich seine 18er Freigabe nicht nur mit der vulgären Sprache verdient: Siegfried schreitet zwischen brennenden Leichenhaufen umher, schießt hektoliterweise Blut aus seinen Feinden und liquidiert sogar betende Zivilisten. Wer mit dem zynisch-übertriebenen Setting etwas anfangen kann, dem seien noch zwei weitere Andrade-Titel empfohlen: Im Shoot’em-Up 1917 – The Alien Invasion DX beleidigt die Kampfpiloten Dr. Brunhild Stahlmüller ihre Gegner mit einem ”Friss Sauerkraut” (erkennt ihr ein Muster?), im letzte Woche veröffentlichten Heidelberg 1693 schießt man sich mit einer Muskete durch eine bluttriefende Castlevania-Hommage.