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The Thaumaturge im Test: Höllisches Elysium, aber ohne Disco

2023 war ein Jahr der Hochkaräter und riesigen Produktionen. 2024 scheint dafür immer mehr ein Jahr der kleinen, aber feinen Spezialisten zu werden. Es sind bisher vor allem viele tiefe Geschichten und schaurige Atmosphären dabei. Ich bin mir sicher, Edgar Allan Poe hätte sich in diesem Spielejahr sehr wohl gefühlt. Banishers: Ghosts of New Eden war bereits da, Frostpunk 2, Alone in the Dark und Avowed sind noch auf dem Weg. Der Vorhang der Releases fällt und gleitet immer wieder auf, in diesem Moment steht The Thaumaturge auf der Bühne. Doch wer ist dieser Indie-Titel mit dem merkwürdigen Namen?Ein Hauch von The Witcher haftet an ihm, genauso wie ein Hauch von Disco Elysium. Irgendwie sind auch Sherlock Holmes, Van Helsing und Darkest Dungeon darin zu finden. Kennt ihr diese Art von Spielen, bei den denen man nicht weiß, ob man die richtige Person dafür ist, aber gerne wäre – vielleicht beim Spielen noch zu dieser Person wird? Ja, genau so eine Art von Spiel ist The Thaumaturge. Schwer zu greifen und schwer zu vergessen. The Thaumaturge ist die Bloody Mary, die erscheint, sobald ihr euch dreimal zu oft darüber beschwert habt, dass doch immer die gleichen Spiele erscheinen.

© Fool's Theory / 11 Bit Studios

The Thaumaturge: Ein innerer Konflikt, der auffrisst, in einem äußeren Konflikt, der die Welt anzündet The Thaumaturge

ist ein Storyspiel. Um ein Storyspiel zu besprechen, aber gleichzeitig dabei nicht zu spoilern, halte ich die Szenen und Details eher vage. Mir geht es vor allem darum, das Spielgefühl von The Thaumaturge zu beschreiben.

1905. Protagonist Wiktor Szulski kehrt nach langer Abwesenheit zurück in seine Heimatstadt Warschau. Er ist Thaumaturg, ein Experte, der mit Geistern und anderen übernatürlichen Erscheinungen sprechen kann. Im

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Die Geschichte von The Thaumaturge spielt Anfang des 20. Jahrhunderts in Warschau – politisch komplexer und emotional brenzliger geht es kaum © 4P/Screenshot

Spiel werden sie “salutors” genannt. Wiktor befindet sich mit seinem eigenen Dämon in einem Konflikt, der immer mehr an seinem eigenen Verstand kratzt. Während er nach einer Lösung für sein Problem sucht, möchte er gleichzeitig wichtige Familienangelegenheiten lösen. Doch Warschau ist zu dieser Zeit ein sehr chaotischer Ort – von Russland beherrscht, von Armut und Kriminalität zerfressen. Um eine Verschwörung aufzuklären und den Bewohnern zu helfen, muss er seine Fähigkeiten bis zur Spitze treiben.

Ein intensiver Sog

The Thaumaturge lässt sich – abseits von seiner isometrischen Perspektive – in vielerlei Hinsicht mit Disco Elysium vergleichen. Es geht darum, völlig in eine Welt einzutauchen und herauszufinden, welche Rolle ihr in dieser spielen wollt. Es gibt sehr viel zu lesen, es wird sehr viel gesprochen. Das mag öde klingen – aber sich für Story-Fans im Laufe des Spiels zu einem absoluten Genuss entwickeln. Jedes einzelne Gespräch stellt

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Die meiste Zeit werdet ihr in The Thaumaturge lesen oder Gespräche führen. Auf Story-Fans wartet hier der volle Sog. © 4P/Screenshot

gesellschaftliche Bezüge her und lässt in tiefe Persönlichkeiten blicken. Misstrauen, Angst und Hass befinden sich überall in der Luft.

Jede Situation kann binnen Sekunden – mit dem falschen Wort – eskalieren und mit Mord und Totschlag enden. Überall gibt es Probleme, überall müssen Entscheidungen getroffen werden. Und manchmal gibt es keine richtige, sondern nur zwei falsche mit unterschiedlichen Konsequenzen. The Thaumaturge ist düster, macht aber unglaublich neugierig. Entwickler Fool’s Theory hat ein unglaubliches komplexes (und verbrauchtes) Zeitalter für ihr Spiel gewählt und dann auch noch eine genauso komplexe zweite Ebene darauf gepackt: Die salutors, die allesamt super-verstörend daherkommen und der slawischen Mythologie entstammen.