Die Sonne im Herzen
2008 entschied sich der Spielemacher Yoshifuru Okamoto dafür, seinem bisherigen Arbeitgeber Tecmo den Rücken zu kehren – davor hatte der in 80ern mit Mangas und NES-Games sozialisierte Japaner mit Sonnenbrillen-Fan Tomonobu Itagaki an mehreren Ninja-Gaiden-Episoden geschraubt. Itagaki machte damals die Valhalla Games Studios auf, Okamoto gründete das Entwicklerhaus Soleil – und beide Teams werkelten fünf turbulente Jahre lang gemeinsam am Wii-U-Actiontitel Devil’s Third. Den konnte man letztlich als kruden, eigenwilligen Action-Trash verbuchen und ein paar Stunden Spaß damit haben, ein gutes Spiel war der Mix aus Hack’n’Slay und Third-Person-Shooter aber trotz der langen Entwicklungszeit nicht. Itagaki nahm seinen Hut bei Valhalla schon 2017, im Jahr 2021 wurden beide Studios dann miteinander verschmolzen – erhalten blieb der Name Soleil (französisch für „Sonne“) und die Führungsposition von Okamoto. Auf der Firmenwebseite lädt nicht nur das fröhliche Motto „Die Sonne ist immer in unseren Herzen“ zum Verweilen ein – mittlerweile hat Soleil an einem Naruto-Titel gearbeitet, zusammen mit GungHo den Free-to-Play-Erfolg Ninjala entwickelt und mit Valkyrie Elysium ein mindestens ordentliches Action-Rollenspiel fabriziert.
Und jetzt kommt Wanted: Dead um die Ecke – ein Actiontitel, der wie Devil’s Third Katana-Kampf und Third-Person-Geballer verbindet, und dabei mindestens interessant aussieht. Vermutlich habt ihr bisher nicht allzu viel von diesem Spiel gehört, auf der Gamescom zum Beispiel war der Titel nur im Pressebereich vertreten. Doch ein Mangel an monatelanger Vorberichterstattung muss nicht zwingend etwas Schlechtes bedeuten – und tatsächlich hatte ich große Lust, das Game auszuprobieren, das da vor knapp zwei Wochen auf meiner PS5-Festplatte Platz genommen hatte. Ich schlüpfe in die Rolle der toughen Hong Konger Polizistin Hannah Stone, bei der nicht nur die Schweizer Flagge am Kragen ihre Herkunft verrät – sie parliert in der englischen Synchro mit einem herrlichen deutschen Akzent. Stone ist beinhart: Sie sieht nicht nur so richtig badass cool aus, sondern lässt sich auch von drei männlichen Rüpelkollegen ihrer „Zombie-Squad“ getauften Truppe nicht aus der Ruhe bringen.
Das Spiel beginnt extrem schräg: Minutenlang schaut man im Intro den Team dabei zu, wie sie in einem Diner tonnenweise Essen bestellen und dabei Trash Talk betreiben. Der seltsame Fokus aufs Essen und Trinken zwischen den Action-Missionen wird sich in den folgenden Spielstunden fortsetzen, und eine Vorliebe fürs Seltsame ebenfalls: Ich stolpere über ein Nudelsuppen-Wettessen mit Button-Drück-Einlagen à la Guitar Hero, versuche mich am UFO-Catcher-Automaten und darf zum Zeitvertreib sogar ein (mittelmäßiges) Retro-Shoot’em-Up namens „Space Runaway“ zocken, das eigens zu diesem Zweck programmiert wurde. Den Vogel schießt ein Besuch in der örtlichen Karaoke-Bar ab: Dort liefert sich Stone ein Gesangsduell mit der Waffenexpertin ihrer Polizeistation. Die wird in den deutschen Texten wunderbar anachronistisch „Büchsenmacherin“ genannt und singt noch schräger als Hannah selbst. Minutenlang drücke ich – wie bei Rhythmusspielchen üblich – die eingeblendeten Buttons zu Nenas „99 Luftballons“ – dabei passen die geforderten Knöpfe nicht mal zum Takt! Es ist eine denkwürdige Szene – so absurd und albern, dass ich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll. Aber in jedem Fall werde ich sie mein Gamerleben lang nicht mehr vergessen.
Auf dem Revier
Zwischen den Einsätzen streune ich in dem mehrstöckigen Polizeirevier herum, starre in die toten Augen meiner Kollegen, sammle als Collectibles ein paar Akten und Dossiers ein und plaudere mit anderen Cops. Im Raum der Büchsenmacherin geht es eher um die über zehn Katzen, um die sich die Kollegin kümmert, als um meine Ausrüstung. Im nächsten Raum hole ich mir eine Standpauke vom Boss ab und stolpere völlig unvermittelt in einen Story-Rückblick, wo Hannah bei einem blutigen Mordfall mit einem traumatisierten Kind konfrontiert wird. Danach versuche ich wieder, lustige Plastikfiguren von Katzen und Ingame-Charakteren aus dem Greifarm-Automaten zu fischen…
Da passt wirklich gar nichts zusammen: Niemand scheint auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, ob eine Polizistin im Einsatz die Verbrecher wirklich mit zig verschiedenen Finishing Moves hinrichten sollte. In einem Moment unterhalte ich mich mit einem meiner Teamkollegen in Gebärdensprache, danach zoomt die Kamera in der Polizeikantine wieder auf üppig gefüllte Teller mit allerlei Speisen. Grafisch wirken viele Areale und Modelle wie höher aufgelöste Resteverwertung aus der PS3- und 360-Ära, an anderer Stelle sehen Details bei den Hauptfiguren richtig gut aus. Offenbar hat Soleil auch Geld dafür ausgegeben, um die Hong Konger Polizeikarren mit Maserati-Logos zu veredeln, und dann gibt es noch Flashback-Sequenzen in Stones Vergangenheit in simpler, aber doch stylisher Anime-Optik. Und während all das passiert, kann man als Spieler kaum mehr tun, als den Kopf zu schütteln: Einerseits freut man sich, ein so herrlich unverfälschtes Produkt vor sich zu haben, andererseits fragt man sich, ob sich denn niemand dafür verantwortlich fühlte, diese ganzen Dinge in einen stimmigen, irgendwie konsistenten Rahmen zu packen.
Das Wii U Gemetzel ist zwar wesentlich spaßiger, trotzdem ein immer noch erfrischend altmodisches Machwerk. Rockt ordentlichst! Und schön weird...
Gibt ja immer versch. subjektiven Eindrücke und vieles kann man gut erklären. Und ich hatte auch echt Bock auf das Teil - aber das ist in vielerlei Sicht so verkorkst. Eike hier hat auch 1,2 Stunden gespielt und zwischen Lachflash und grober Wut war vieles dabei, nur kein Spielspaß.
Ich würde warten bis es billiger ist.