Wenn ein Spiel mit einem Honecker-Zitat beginnt, wird man nicht gerade euphorisch. Die hohe Singsang-Stimme des Generalsekretärs der SED war ebenso berüchtigt wie seine emotionslos vorgetragenen kommunistischen Endlosschleifen, die selbst härteste BBC-Journalisten ins Koma versetzen konnten. Aber keine Bange: All Walls Must Fall ist nicht nur unterhaltsamer, sondern spielt sich trotz seiner Defizite angenehm frisch. Es wird euch über knapp fünf Stunden auf einen ebenso explosiven wie bizarren Trip schicken, der taktische Action mit cooler Zeitmanipulation bietet.
Und zumindest in dieser Zukunft scheint sich ein Honecker-Spruch bewahrheitet zu haben, denn die Mauer steht noch im Jahr
2089. Schon im Intro eskaliert die Lage: In Ost-Berlin gibt es einen nuklearen Anschlag, der einen weltweiten Atomkrieg auslösen könnte. Deshalb wird ein Agent namens „Kai“ von der Geheimorganisation STASIS zum Zeitreisenden, der mehr über die Verantwortlichen herausfinden soll – der Klassenfeind im Westen war es angeblich nicht. Aber wer dann? Nordkorea? Die Mafia? Aliens?
Als er zehn Stunden in der Zeit zurückgebeamt wird, muss er diverse Nachtclubs der zombiesk tanzenden Schwulenszene in Ost-Berlin infiltrieren, um Antworten zu finden – allerdings nur auf Englisch, denn auf deutsche Texte haben die Berliner Entwickler kurioser Weise verzichtet. Meist soll er Gegenstände oder Personen suchen oder töten. Sein Vorteil: Er kann die Zeit auf diverse Art zurückspulen. Entweder in kleinen Schritten oder so, dass entweder er oder alle Gegner an Ort und Stelle verharren, während sich alles andere wieder dem Zustand der Vergangenheit anpasst. Und damit kann man sehr schön experimentieren.
Überzeugen oder töten?
Die von der Unreal Engine 4 inszenierte Kulisse sieht ansehnlich aus, wobei nicht die polygone Power, sondern das Artdesign bestimmend ist: Das erinnert aufgrund seiner isometrischen Darstellung an Klassiker der Bitmap Brothers, so dass
man sich ein wenig in die Ära des Amiga zurückversetzt fühlt. Allerdings zieht die Regie hier ganz andere Licht- und Musikregister: Mehrheitlich düstere Farben und blockartige Architektur wird nur sporadisch von Neon und Glimmer aufgelockert, während treibende Elektrobeats dominieren, die teilweise im Takt der Action wummern. Obwohl es nur wenige Animationensphasen und teilweise robotische Bewegungen gibt, entsteht ein stylisches Flair.
Weil Kai als glatzköpfige Cyborg-Kante recht auffällig mit seiner martialischen Arm-Prothese unterwegs ist, winken ihn die misstrauischen Türsteher nicht sofort rein. Ganz im Stile von Deus Ex kann man ihn übrigens nicht nur mit weiteren Waffen und Fähigkeiten, sondern auch mit Augmentationen verstärken, darunter z.B. ein spektakulärer Schlag durch Mauern, der mal eben eine Abkürzung schafft. Meist hat man die Wahl, ob man es kämpferisch oder rhetorisch versucht – und man kann überraschend viele Situationen friedlich lösen, sogar ohne Konflikt einen Club nach Hinweisen durchsuchen. Startet man einen Dialog, öffnet sich ein Minispiel mit drei emotionalen Zuständen: Balken zeigen an, wie wütend, abgestoßen oder kritisch der Gesprächspartner ist. Man muss ihn durch eine clevere Wahl von Sprüchen entweder maximal ängstigen, anmachen oder überzeugen.
Gerade bei solchen Low-Budget-Projekten wird oft auch die Community eingespannt, zu übersetzen. Günstigstenfalls gegen eine Nennung in den Credits oder einen Obolus. Aber dazu müssen alle Textzeilen offengelegt werden, was oft auch Arbeit bedeutet oder vielleicht auch gar nicht gewünscht wird. Das ist dann wie mit Bink&Smacker bei Panzer General 3D alle Missionsvideos im Gameverzeichnis anzuschauen statt die Kampagne zu spielen.
Um mal eine Lanze für die Entwickler, die ich selbst kennengelernt habe, zu brechen.
Du musst Dich am Start einer Entwicklung entscheiden, in welcher Sprache Du die initiale Version erstellst. Natürlich nimmt man Englisch, da das Dein Absatzmarkt auf Steam ist (man merke es gibt vom Spiel keine Retail Version!).
Vielleicht spricht auch der ein oder andere Entwickler nur Englisch? Wäre doch dumm, wenn der nicht sein eigenes Spiel versteht . In Berlin soll es ja durchaus nicht nur deutschsprechende Arbeitnehmer geben .
Dann kommt der Zeitfaktor dazu. Du schiebst mögliche Lokalisierungen natürlich ans Ende, da Du nicht immer Nach-Lokalisieren möchtest, wenn du mal was änderst. Am Ende geht jedoch Zeit oder Geld aus. Das Spiel muss raus, weil sonst biste Pleite.
Drittens kostet eine Übersetzung viel Geld. Bei z.B. 80.000 Wörten im Minimum 6000-7000 Euro.
Das muss Du dann aber auch parallel zu Englisch einbauen. Ergo fällt ein Umbau an, und QA.
Ob sich die Investition lohnt ist fraglich. Gibt es genügend Leute, die nur Deutsch verstehen (wollen) und dieses Spiel kaufen?
Bei 6,99-10 Euro Verkaufspreis erhällt der Entwickler vielleicht die Hälfte. Sagen wir mal 5 Euro.
Dann brauchst du mindestens 1400 Käufer für die deutsche Version!
Meine These, die findest Du nicht .
Zumal man dann, mit der übersetzten Version, noch keinen Cent verdient hat!
Und nur zur Vollständigkeit: Ich werde mir All Walls Must Fall nicht kaufen. Nicht wegen der Texte, sondern weil mich das Spiel nicht interessiert.
Im Grunde sollte es jedem Entwickler (auch deutschen) freistehen eine deutsche Sprachunterstützung anzubieten oder eben nicht (früher war das allerdings tatsächlich obligatorisch, weil die Spiele dann oft auch in Deutsch entwickelt wurden, z.B. Anno, Siedler, DSA, Gothic, etc.).
Was im Falle von "All Walls Must Fall" aber ein wenig irritiert ist die Tatsache, dass sie mit deutschen Steuergeldern in Höhe von 70.000 Euro gefördert wurden. Hier dann im Gegenzug den heimischen Markt und damit auch die eigenen Förderer nicht adäquat zu bedienen ist schon ein wenig unglücklich.