Es war eine kluge Entscheidung, Rollenspieler zwar in dieselbe Fantasywelt, aber in ein anderes Zeitalter zu entführen. Das lässt sowohl erzählerisch als auch inhaltlich viel Raum für frische Impulse. Gleichzeitig kann man grundlegende Konzepte wie etwa den Begriff „Source“ als eine Quelle der Magie oder „Void“ als eine Art dämonische Parallewelt weiter nutzen, um die eigene mythologische Tradition fortzuführen. Kenner des Vorgängers werden übrigens einige Bücher mit Anekdoten sowie genug Bezüge aus der alten Epoche finden. Aber das Abenteuer beginnt 1000 Jahre nach den Ereignissen aus Divinity: Original Sin. Und man muss die Geschichte der Welt nicht kennen, um sich in ihr zurechtzufinden. Immer noch beten Menschen, Elfen, Echsen, Zwerge, Orks & Co zu ihrem jeweils eigenen Gott. Aber das Reich von Rivellon steht vor einem Wendepunkt.
Die Grenzen zwischen den Welten verschwimmen und etwas Apokalyptisches schwebt über dem Land. Bischof Alexandar, einziger Sohn des verstorbenen Gottkönigs Lucian, besitzt nicht die magische Potenz seines Vaters und muss das Vakuum scheinbar mit Gewalt kompensieren. Seine Magister des Göttlichen Ordens sollen das bedrohte Reich retten. Sie arbeiten mit der Angst vor den so genannten „Voidwoken“ – monströse Kreaturen, die von der verpönten Magie angelockt werden. Deshalb jagen sie wie eine mittelalterliche Inquisition die „Sourcerer“, legen ihnen Halsbänder an und schicken sie in ein Lager auf einer entfernten Insel, um sie angeblich zu heilen. Man beginnt das Abenteuer als einer dieser Ketzer auf einem Schiff voller Gefangener, das nach Fort Joy segelt. Ein Mord an Bord sorgt gleich für Aufregung…
Polyvalente Charaktere
Auch wenn der Name „Sourcerer“ einen Zauberer vermuten lässt, kann man im Rahmen der vielfältigen Charaktererstellung aus acht Rassen sowie ihre untoten Varianten und vierzehn „Klassen“ wählen – darunter Hexer, Magier, Gestaltwandler, Kleriker,
Krieger, Ranger, Diebe, Barden, Ritter etc. Divinity protzt vom Start weg mit seiner Vielfalt und feinen Details – selbst eine Melodie kann man sich für seinen Helden oder seine Heldin aussuchen. Warum dann die Anführungszeichen? Weil es sich bei den Klassen lediglich um Namen für gewisse Startpakete handelt. Es gibt keinerlei exklusive Fähigkeiten, Waffen oder Entwicklungen, wie etwa eine spezielle arkane Richtung, die nur dem Nekromanten vorbehalten bleibt. Jeder kann alles an Zaubern, Rüstung oder Klingen führen, es gibt keine Grenzen und damit zig Mischformen.
Als eher konservativer Rollenspieler stehe ich dieser Freiheit meist skeptisch gegenüber, weil sie zu einer Beliebigkeit mit unrealistischen Nebenwirkungen führen kann, die mit den eigentlichen Werten nichts zu tun hat – zumal hier sogar die Ausrüstung arkane Fähigkeiten verleiht: Wenn ein „Krieger“ einen Helm aufsetzt, der ihm Nekromantie plus eins verleiht, kann er eben auch mit seinem spärlichen IQ einen Untoten beschwören; zieht er die Handschuhe des Diebes an, kann er sich auch ohne großes Geschick am Taschendiebstahl versuchen. Das sorgt quasi für polyvalente Helden und man managt zumindest das Inventar seiner vierköpfige Gruppe wesentlich zeitintensiver als in Rollenspielen mit fester Klasse, weil man über das geschickte Tauschen von Ausrüstung ständig hier oder da etwas mehr Effizienz sowie andere Zauber herausholen kann.
Das macht durchaus Spaß und der Vorteil ist das dynamische Experimentieren. Der Nachteil ist, dass die Grenzen zwischen den Gefährten etwas verwischen und man alle recht ähnlich, nämlich auf möglichst viele magische Talente hin entwickelt, zu denen ja auch martialische Zweige wie „Warfare“ oder „Ranger“ gehören. Dafür benötigen alle, auch potenzielle Krieger oder Assassine, mehr „Memory“, denn nur so schalten sie einen weiteren Platz für Zauber frei. Statt klassenspezifischer Pfade gibt es eher eine gewisse Gleichschaltung.
Das klingt aber kritischer als es ist, denn innerhalb der Charakterentwicklung gibt es genug Raum. Gleich zu Beginn kann man sich für exklusive Hintergründe wie etwa „Soldat“ oder „Adliger“ entscheiden, die ganz eigene Gesprächszweige öffnen – dem einen fällt in späteren Dialogen z.B. die Bewaffnung auf, der andere enttarnt Schauspieler. Dazu gibt es weiterhin sinnvolle Spezialisierungen über Werte, denn der Waffenschaden skaliert z.B. bei Schwertern mit der Stärke oder bei Dolchen mit der Finesse, der Zauberschaden mit der Intelligenz oder der erhöhten Punktzahl in der betreffenden Magieschule – sie sind also nicht überflüssig. Hinzu kommen spezielle Talente für Einhandwaffen, doppelte Klingen oder Fernkampf, besondere rhetorische Fähigkeiten wie die Überzeugungskraft oder kollektive Talente, wie die Führung, die sich auf Widerstände sowie Ausweichwerte in der Gruppe auswirken. Nach einem Aufstieg kann man also genug markante Zeichen setzen, so dass klare Unterschiede erkennbar sind. Und keine Bange, was das „Verskillen“ betrifft: Es gibt früh genug einen Punkt in diesem etwa 80-stündigen Biest von Spiel, an dem man alles wieder neu verteilen kann.
Danke für die Info!
Kannst du mir noch was zum Splitscreen sagen?
Da leider im Test kein Wort zum Zwei-Spieler-Modus fällt: Kann mir jemand sagen, ob man das Spiel auf dem PC zu Zweit spielen kann, an einem Bildschirm, mit zwei Controllern? Falls das geht, läuft das dann die ganze Zeit im Splittscreen oder fügt sich das Bild zusammen, wenn man in der Nähe ist?
Danke!