Und wo wir beim Klauen sind: Man kann nicht einfach alles mitgehen lassen, Privatbesitz ist rot markiert und manche Tür oder Truhe verschlossen. Zwar wird das leider nicht in allen Bereichen konsequent gemacht und es ist mal wieder komplett unrealistisch, wenn man schon im Lager einfach so in einem Fass wertvolles Gold oder andere Beute findet. Aber die Bewohner reagieren mitunter angenehm authentisch in mehreren Stufen auf Diebstahl: Sobald man sichtbar in den Schleichmodus wechselt, wird man misstrauisch darauf angesprochen. Klaut man trotzdem erfolgreich, wundern sich die Bestohlenen über das Fehlen und
stellen einen zur Rede – hier kann man sich dann vielleicht noch rhetorisch herauswinden, aber wird im Zweifel gestellt, muss sich durchsuchen lassen oder die Wachen buchten einen im Gefängnis ein. Da verliert man erstmal all seine Besitztümer und muss einen Weg hinaus finden; auch dann hat man mehrere Möglichkeiten.
Sehr schön ist zudem, dass man einen speziellen Ruf wie „heroisch“ bei seinen Gefährten erreicht, wenn man z.B. besonders edelmütig agiert: Man soll für einen Lageranführer eine verlorene Orange finden, in der sichDrogen befinden. Hat man den Dieb zur Herausgabe überredet und bringt die Beute zurück, verlangt der Auftraggeber, dass man ihn denunziert – wovon die eigenen Gefährten nichts halten, was sie auch betonen. Riskiert man es, ihm eine Absage zu erteilen, hat man einen harten Kampf gegen ihn und seine Schergen vor sich. Aber zuvor erreicht man den Status „Held“ bei seinen Freunden. Auch sonst gibt es einiges an Partyinteraktion sowie Beziehungsmanagement: Man kann das Verhältnis zu einem Gefährten zwar zunächst nur anhand einer schnöden numerischen Zahl wie +25 erkennen, die je nach gewählten Antworten in Dialogen oder eben solchen Aktionen steigen oder fallen kann. Aber so ergeben sich irgendwann Romanzen, wenn man die richtigen Worte findet, oder Feindschaften – dafür gibt es einige Schlüsselszenen. Unterm Strich hätte ich mir aber weit mehr Partyinteraktion und Einmischungen in Dialogen gewünscht, gerade während der Erkundung, da waren Wasteland 2 und vor allem Pillars of Eternity lebendiger. Keine Lust auf Beziehungen und Gequatsche? Kein Problem: Ihr könnt das komplette Abenteuer auch als „einsamer Wolf“ alleine meistern! Auch das ist lobenswert, denn in den letzten Jahren haben digitale Techtelmechtel durch alle Geschlechter einen etwas zu großen Stellenwert in Rollenspielen eingenommen.
Logikfehler und Inkonsequenzen
Bei allem Lob für die Vielfalt und Offenheit der Quests darf man die Logikfehler allerdings nicht vergessen, die selbst nach einigen Patches noch vorhanden sind: Obwohl ein gesuchter Elf im Kampf
gestorben ist, kann man seine Bekannte in einer Höhle auf ihn und sein Befinden ansprechen – es ginge ihm jetzt wieder gut, sagt sie dann. Obwohl man bei der Flucht aus dem Gefängnis gerade gestorben ist, können die Begleiter einfach an den Wachen vorbei in den Kerker marschieren und den Helden dort wiederbleben. Und sowohl die patrouillierenden Magister als auch Gefangenen wundern sich im Lager nicht über Tote, sondern marschieren einfach daran vorbei. Zudem wird das Betreten von eigentlich privaten oder verbotenen Räumen nicht immer konsequent genug verhindert.
Das ganz große Kino der politischen Folgen à la Tyranny oder The Age of Decadence, wo man bei der Rückkehr in bekannte Orte auch die dortigen Änderungen im lokalen Machtgefüge aufgrund der eigenen Taten beobachten konnte, fährt die Regie nicht auf. Aber trotzdem wirken sich die eigenen Taten spürbar bis hin zu tödlich auf die eigene Gruppe, die Story und ihre möglichen Enden aus – dieses Divinity kann angenehm gnadenlos sein. Und immerhin gibt es ansatzweise auch lokale Konsequenzen: Wenn man etwa aus dem Lager flieht und dann nochmal zurückkehren will, greifen einen die Magister sofort an. Trotzdem mangelt es manchmal an glaubwürdigen kollektiven Reaktionen von Gruppen: Wenn man etwa in Forty Joy alle Magister und ihre Schergen tötet, verhalten sich die Gefangenen als wäre nichts gewesen – niemand flüchtet durch offene Tore oder freut sich angesichts der möglichen Freiheit. Und schon viel früher scheint es sich nicht rumzusprechen, wenn man einzelne Wachposten oder auch wichtige Mitglieder des Ordens niedermacht. Teleportiert man sich raus und kehrt später wieder, bemerkt man keine Alarmierungen, was der Immersion letztlich schadet.
Strukturelle Stärken und Entwicklungen
Aber man darf die strukturellen Stärken sowie die gute Dramaturgie nicht vergessen. Die vermittelt einem nicht nur das Gefühl des Gejagten, sondern bietet neben teilweise spektakulären Showdowns, in denen plötzlich das Who-is-who aus Rivellon auf dem Schlachtfeld steht, auch immer wieder stimmungsvolle Ruhephasen. Die Taverne in Driftwood wird z.B. sehr lebendig inklusive Betrunkener, Barden & Co inszeniert. Und es ist klasse, dass manche Aktionen aus der Vergangenheit viel später belohnt werden: Wer einem untoten Ritter hilft, bekommt nicht nur eine direkte Belohnung, sondern kann irgendwann auf seine wichtige Hilfe hoffen – das gilt auch für einen Drachen.
Man wird zudem in Etappen mit neuen Möglichkeiten innerhalb der Spielmechanik motiviert: Man startet ja als Gefangener und kann sein Potenzial erst ausschöpfen, wenn man flieht und das Halsband irgendwie entfernt – beides ist auf viele Arten möglich. Und erst ab diesem Moment kann man, wie die Gefährten, magische Quellen und andere bis dato deaktivierte Zauber wie die Segnung nutzen, die wiederum so spezielle Effekte hat, dass sich damit auch weitere Quests lösen lassen – das wird einem nicht auf dem Silberteller markiert, man muss selbst drauf kommen.
Aber dann hat man noch lange nicht sein maximales Potenzial erreicht: Erst wenn man das Festland erreicht, erfährt man wiederum in Etappen, wie man seine Macht weiter vergrößern kann, so dass man selbst mit Geistern kommunizieren oder die Kräfte Verstorbener nutzen darf, was wiederum eine neue Ebene öffnet. Das Schöne ist: Auch darauf kann man pfeifen, man kann zumindest in den Dialogen versuchen, sich aus dem großen weltpolitischen Konflikt herauszuhalten. Gerade dieses offene Lavieren zwischen dem klassischen Helden und dem anarchistischen Verweigerer erhöht zusammen mit den daraus resultierenden unterschiedlichen Enden natürlich auch den Wiederspielwert.
Danke für die Info!
Kannst du mir noch was zum Splitscreen sagen?
Da leider im Test kein Wort zum Zwei-Spieler-Modus fällt: Kann mir jemand sagen, ob man das Spiel auf dem PC zu Zweit spielen kann, an einem Bildschirm, mit zwei Controllern? Falls das geht, läuft das dann die ganze Zeit im Splittscreen oder fügt sich das Bild zusammen, wenn man in der Nähe ist?
Danke!