Ganz wichtig ist das eigentliche Salz in der Charakterauswahl: Es gibt sechs vorgefertigte Helden mit eigenen, zum Teil sehr interessanten Biografien und hervorragenden englischen Sprechern, die ihnen markante Persönlichkeit einhauchen. Ich kann nur empfehlen mit einer dieser Figuren wie dem exzentrischen Roten Prinzen, der zickigen Zauberdiva mit Dämon im Kopf oder dem desillusionierten Rächer Ifan zu starten, denn sie bieten nicht nur persönliche Questreihen und Hintergründe, sondern sie werden aufgrund ihrer Ecken und Kanten richtig lebendig. Und sie geben exklusive Antworten in Dialogen, die ihren Charakter nochmal unterstreichen. Wenn man dann in einer vierköpfigen Gruppe unterwegs ist, was für die komplette Kampagne auch kooperativ online mit Freunden möglich ist, kann man vor Gesprächen die Hauptperson wechseln. Denn je nach Rasse oder Status reagieren die Bewohner meist recht unterschiedlich.
Der Star ist neben dem Echsenprinzen der untote Fane. Er hat natürlich ein gewisses Problem mit seinem Äußeren, denn bei aller Toleranz der Bewohner für andere Völker gehören Skelette noch nicht dazu. Zwar ist es sehr schade, dass sie nicht immer konsequent mit Angst oder Abscheu auf ihn reagieren, so dass sich der Wert seiner coolen Maske etwas in Grenzen hält – mit ihr kann er sich in null Komma in einen Elfen, Zwergen oder Menschen verwandeln. Aber alleine für seine süffisanten wissenschaftlichen Kommentare über die Menschheit sowie seine eigene Quest, die die Suche nach einer uralten Zivilisation beinhaltet, lohnt er sich als Gefährte. Mit ihm entstehen herrliche Situationen, die an den plappernden Totenschädel Morte aus Planescape: Torment erinnern. Und die Larian Studios, die 1996 im belgischen Gent gegründet wurden, zeigen noch auf anderer Ebene, dass sie sich über die letzten Jahre erzählerisch weiter entwickelt haben.
Eine reife Regie
Die Regie wirkt insgesamt deutlich reifer und vielschichtiger, man könnte fast „epischer“ sagen. Das liegt nicht in erster Linie an der geschickt integrierten Stimme des Erzählers, der immer wieder einzelne Situationen (74.000 Zeilen komplett vertont!) wie ein Spielleiter
stimmungsvoll beschreibt, was mir sehr gut gefällt, sondern an der grundsätzlich besseren Erzählweise, die auf mehreren Ebenen stattfindet – auch auf einer übersinnlichen, die man erkunden kann. Im Gegensatz zum eher auf witzig getrimmten Vorgänger, der mir zu häufig ins Alberne abstürzte, gibt es jetzt ernstere Töne und auch mal tragische oder grausige Situationen, in denen die Zerrissenheit der Charaktere oder die Tragweite eines Konfliktes deutlicher wird – bis hin zu seltsamen Verstörungen oder spektakulär inszenierten Höhepunkten. Außerdem behandelt einen die Regie nicht wie ein Kleinkind, dem erst alles und jedes erklärt werden muss, sondern sie lässt genug Platz für Zusammenhänge sowie Geheimnisse, die man selbst entdecken muss, indem man aktiv erkundet.
Damit nähert sich die Dramaturgie jener von Pillars of Eternity an, ohne dass dabei der Humor außer Acht gelassen wird. Im Gegenteil: Er zwinkert einem immer wieder in den köstlichen Dialogen zu, außerdem gibt es abseits der Gefährten viele skurrile Charaktere mit kleinen und großen Ticks. Zwar ist auch das Alberne immer noch da, und vor allem die Zwerge versinken meist ganz tief im bärbeißigen Klischeekeller. Nur schmunzelt man diesmal mit der angenehm bösen Ahnung im Nacken, dass sich da wirklich etwas Bedrohliches über der Welt zusammenbraut. Oder gar in einem selbst? Gleich zu Beginn flüstert eine mysteriöse Stimme: „I have plans for you, child. Rise.“ Ach so: Zum Start meines Abenteuers gab es noch keine Übersetzung, aber die wurde mit den ersten Patches nachgeliefert – ihr könnt also komplett auf Deutsch loslegen.
Gerade diese verwirrenden Momente sowie die vielen Graustufen innerhalb der Story, die eben nicht
mit bösen Magistern und guten Sourcerern schwarzweißmalt, sorgen dafür, dass man die Dialoge von Beginn an sehr aufmerksam liest. Die erreichen nicht die Fülle und Verschrobenheit eines Torment: Tides of Numenera, aber sie sind teilweise hervorragend geschrieben und angenehm vielschichtig, zumal man je nach gewähltem Helden oder Fähigkeiten exklusive Antworten geben kann. So bekommt man wertvolle Hinweise oder kann viele Konflikte gewaltfrei lösen; selbst Tiere wie Ratten oder Katzen können einem auf subtile oder direkte Art eine Hilfe sein, wenn man mit ihnen spricht! Außerdem spielt dieses Divinity einfache Situationen mit Kindern oder gewöhnlichen Leuten souverän aus, so dass auch das Alltägliche nicht zu kurz kommt und die Spielwelt im Lager sowie später in der Stadt auf dem Kontinent angenehm lebendig wirkt. Trotzdem geht es natürlich – wie fast immer in der klassischen Fantasy – um die heroische Rettung einer bedrohten Welt. Und da muss man mal mit allen Mitteln kämpfen oder einfach alles in Schutt und Asche legen. Auch da geht dieses Rollenspiel einen qualitativen Schritt weiter als sein Vorgänger.
Danke für die Info!
Kannst du mir noch was zum Splitscreen sagen?
Da leider im Test kein Wort zum Zwei-Spieler-Modus fällt: Kann mir jemand sagen, ob man das Spiel auf dem PC zu Zweit spielen kann, an einem Bildschirm, mit zwei Controllern? Falls das geht, läuft das dann die ganze Zeit im Splittscreen oder fügt sich das Bild zusammen, wenn man in der Nähe ist?
Danke!