Indika: Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!
Seit wann fallen Nonnen vom Himmel? Eine Frage, die der Beginn von Indika durchaus aufwerfen könnte, denn das Spiel startet mit einem pixeligen Arcade-Minispiel, bei dem ich in freiem Fall goldene Sterne einsammeln muss. Ich falle und falle und falle – bis ich auf dem Boden der Tatsachen lande und mich in einem Altarraum befinde, mitten in einer Messe. Die Nonne Indika hat offenbar vor sich hin geträumt und wird für ihr Fehlverhalten auch sogleich bestraft. Der Klosteralltag empfängt mich ruppig: Wer Gott oder einem seiner Stellvertreter nicht den nötigen Respekt zollt, muss über seine Sünden nachdenken und wird mit niederen Aufgaben betreut.
Entsprechend darf ich dann auch gleich einen Korb Kartoffeln durch das halbe Kloster schleppen, während ich mich in der verwirrenden Levelstruktur verirre: Zwar wird mein Ziel durch einen weit entfernten Punkt markiert, doch der Weg dorthin gleicht einem Labyrinth und führt mich vorbei an zufällig platziert wirkenden Holzkonstruktionen, die in Sackgassen enden. Der kleine Botengang fängt die Klosterstimmung hervorragend ein: Hohe Mauern, schlamm- und schneebedeckte Wege, ein Mix aus grau, braun und weiß – alles wirkt einschüchternd und abschreckend, kalt, beklemmend.
Untermalt wird das Ganze von einer atmosphärische Soundkulisse: Meine Fußstapfen durch Schnee und Pfützen hallen zwischen den wolkenkratzenden Wänden hin und her wie ein Pingpong-Ball der Trostlosigkeit, der heulende Wind und in der Entfernung quietschende Türen oder Ketten tun ihr Übriges. Die grimmige Ordensschwester, die mir die Ladung Gemüse vor die Füße knallt und nicht einmal ein Wort des Dankes für mich übrig hat, passt natürlich ebenfalls in diese von jeglicher Freude befreite Atmosphäre: Klar, das Leben in einem russischen Kloster des 19. Jahrhunderts war kein Zuckerschlecken, auch, wenn es sich hierbei um ein fantastisch angehauchtes Paralleluniversum handelt.
Manie und Monotonie
Wenn ich gehofft habe, dass ich nach der erfolgreichen Lebensmittelbeschaffung spannenderen Aufgaben zugeteilt werde, dann stellt mir Indika direkt das nächste Bein: Es muss Wasser geholt werden, und das nicht zu knapp. Fünf Mal lässt mich das Spiel zum Brunnen laufen, den Eimer herunterlassen und wieder hochholen, um ein nahestehendes Fass zu befüllen. Klingt langweilig? Ist es auch, und als ich endlich fertig bin, leert eine andere Schwester das Holzbehältnis einfach wieder aus und macht meine Arbeit vollends zunichte. So muss sich Wahnsinn anfühlen.
Indika ist sich dieser extremen Eintönigkeit natürlich bewusst, und damit meine ich Nonne wie Spiel gleichermaßen: Die Erzählerstimme, die mich auf Schritt und Tritt in meinem Kopf verfolgt, neckt mich mit den Worten „unnütze Arbeit ist die Grundlage geistlicher Entwicklung“, während eine verpixelte Zahl am oberen Bildschirmrand anzeigt, wie oft ich noch zum Brunnen latschen muss. Es ist ein krasser Kontrast, denn die manische Monotonie des Nonnenalltags wird mit einer bizarren Art der Gamification versehen: Schon beim eingangs erwähnten Minispiel sammle ich Punkte, die in der linken oberen Ecke des Bildschirms permanent präsent sind.
Sie dienen meinem Stufenaufstieg, der im Menü in einem Talentbaum festgehalten wird: Bei jedem Abschnitt kann ich mich zwischen zwei religiös konnotierten Attributen wie Schande, Buße, Trauer, Schuld, Demut oder Reue entscheiden, die jedoch keinen erkennbaren Nutzen haben – außer, noch mehr Punkte zu verdienen, um die Eigenschaften schneller zu leveln. Dann wäre da aber natürlich noch der metaphorische Aspekt, bei dem Indika mehr und mehr Schuld, Schande oder Buße auf sich lädt, weil sie dies im Rahmen ihres Glaubens als notwendig erachtet. Ganz am Ende werden die zunächst sinnlos wirkenden Punkte und Stufenaufstiege dann aber clever in die Gesamtheit des Spiels einordnet, werfen neues Licht auf die dunkle Reise der Nonne und bieten einen spannenden Interpretationsansatz.