Warum er sich da so locker sonnt, als ihn ein Funkspruch von Anna erreicht, bleibt das Geheimnis einer Regie, die komplett überfordert ist mit Charakteren, Dialogen und Spannungsaufbau. Anstatt sich am eigenen Firmenmotto „Create New Horizons“ zu orientieren, hat man sich an all den filmisch inszenierten Vorlagen orientiert, die man eben nicht so leicht kopieren kann, wenn man zu viert ist und jemand nebenbei eine Story schreibt. Das Schlimmste ist: Der Held spricht seine Gedanken immer mal wieder laut aus – und das ist meist grauenhaft. Gesprochen wird übrigens wahlweise auf Englisch oder Türkisch, die Texte wurden aber mit einigen Lücken und Fehlern ins Deutsche übersetzt.
Immerhin lernt man bei der Erkundung der ersten Schlauchareale, dass man neben dem Sprinten auch Objekte wie Boxen oder Schränke verschieben kann, um danach zu klettern und über Container, Brücken oder Fenster vorwärts zu kommen – wobei es neben kleineren Inkonsequenzen (da kann man sich über hüfthohe Barrieren schwingen, drei Meter weiter nicht) zu einigen Bugs mit geöffneten Türen kommt. Außerdem kann man in die Hocke gehen, um zu schleichen und Feinde sogar per Pfiff anlocken – was aber nur leidlich nützlich ist, da das Feindverhalten so robotisch ist. Nachdem man ein Brecheisen gefunden hat, darf man diese auch von hinten erledigen, was – wie erwähnt – sogar ganz gut animiert wird. Alternativ kann man auf eine Pistole zurückgreifen, dann kommen Granaten, später Sturmgewehr und Bogen hinzu.
Kampf ohne Wucht
Die Steuerung ist okay: Man kann Schnelltasten belegen oder über ein einblendbares Kreismenü die Waffen wechseln. Etwas verwirrender ist die optionale Anzeige des nächsten Ziels, die auch potenzielle Gegner darstellt. Überhaupt stört die Schrift, wenn man Munition & Co aufsammelt. Zwar soll es laut der über acht Episoden laufenden Story um das knallharte Überleben gehen, aber man findet recht häufig Munition und kann auf dem normalen der drei Schwierigkeitsgrade gut vorwärts kommen. Mit der Zeit regeneriert man zudem Energie, die man auch zum Heilen einsetzen kann. Wenn es mal knifflig wird, liegt es meist daran, dass die ansonsten dumme KI einen auch in Deckung erkennt oder in Übermacht antritt. Auf taktischer Ebene gibt es leider wenig zu experimentieren, da diese Feinde für kreatives Katz- und Mausspiel nicht geeignet sind.
Das größere Problem ist: Die Kämpfe sind langweilig, teils störrisch. Mal abgesehen von der fehlenden Wucht und Akustik sorgen mechanische Defizite schnell für Ernüchterung, zumal die Übergänge von Nah- zum Fernkampf sehr holprig sind. Ganz übel: Wenn man hinter einer hüfthohen Deckung hockt, kann man den klar erkennbaren Feind nicht mal flüssig anvisieren, weil das Fadenkreuz einfach nicht mitmacht – arghs. Ihr könnt übrigens mit Maus und Tastatur oder einem Gamepad spielen; mit dem Xbox-Controller lief das sauber.
The Worst of Us?
Die Gefechte werden jedenfalls so altbacken inszeniert und die KI ist so berechenbar, dass keine situative Spannung jenseits einer gewöhnlichen Schießbude aufkommt. Man muss hier nicht gleich The Last of Us oder Days Gone als Vergleich heranziehen, da reichen auch Spiele wie I Am Alive von 2012 (!), das wesentlich intensiver und auch psychologisch interessanter war, weil es Konflikte auf kreative Art darstellte. Aber Potentia lässt frische Impulse vermissen, die gerade kleine Projekte brauchen, um sich irgendwie abzuheben – hier wirkt vieles nur wie nachgezeichnet und kopiert.
Da kann man in der Kritik auch nicht berücksichtigen, dass da „nur“ vier Leute aktiv waren, denn man begibt sich ja selbst in diese Arena. Außerdem haben viele kleine Studios, die noch weniger Leute hatten oder gar Soloprojekte waren, bewiesen, dass man mit innovativen Ansätzen sogar Gold und Platin erobern kann – man denke an Horace, das 90% im Test abgestaubt hat und von Paul Newman sowie Sean Scaplehorn entwickelt wurde.
So erreicht Potentia als pure Third-Person-Action, von der es da draußen so viel gibt, nicht mal Mittelmaß. Jedenfalls wollte ich irgendwann einfach nur mal durchrennen statt zu kämpfen – an schwer bewaffneten Typen vorbei. Und das Schöne war: es klappte sogar. Die ballerten zwar, aber verfolgten mich nicht richtig. Jetzt konnte ich in aller Ruhe leere Gassen erkunden oder in Räumen Schubladen öffnen, in denen meist nix drin war außer meinem Kopf, der hineinragte. Immerhin ist das Spiel, das letztlich wie eine Tech-Demo wirkt, nach etwa drei Stunden vorbei.
"WIE LANGE WAR ICH WEG?!"
"Ungefähr 19 Stunden.."
Ich denke das bleibt der beste Dialog.
Im übrigen hatte das Osmanische Reich halb Südosteuropa inkorporiert - von daher wäre Potentia natürlich im Osteuropa-Thread gelandet :)
Nichts ist nutzloser als schlechte Spiele. Hab ich noch nie verstanden, warum sich kleine Studios an solche Projekte wagen, die ja nur scheitern können. Geld und Manpower hätte man da doch lieber in ein Indie-Spiel mit eigenen Ideen fließen lassen, das hätte dann wohl auch eine Daseinsberechtigung gehabt.