Aber selbst toll inszenierte Kämpfe reichen auf lange Strecke natürlich nicht aus. Gerade als Spieler gewöhnt man sich schnell an alles Mechanische. Viel wichtiger als diese visuelle Fratze der Gewalt, die nach all den Resident Evils & Co letztlich nichts Besonderes ist, ist jedoch der gnadenlose Wechsel der erzählerischen Perspektive. Der könnte den einen oder anderen verstören. Er sorgte bei mir viel eher für unwohlige Momente als digitales Blut und Gedärme. Normalerweise bieten Spiele klare Feindbilder, der Held wird moralisch legitimiert, Gut und Böse sind nahezu bis ins Finale zementiert. Nur selten kann man einen anderen Standpunkt wirklich aus Spielerfahrung nachvollziehen.
Naughty Dog weicht nicht komplett von der Erzählweise ab – oder gar der Charakterzeichnung. Immerhin knüpfen sie an eine Geschichte an, die mit Joel und Ellie zwar weitgehend sympathische, letztlich „gute“ Figuren einführte, die aber auch schon dunkle Facetten hatten. Sie folgen diesen ausgelegten Fäden sehr souverän. Aber Neil Druckman und sein Team erzählen differenzierter, sie weben neue Fäden ein, wie z.B. Ellies Beziehung zu Dina, sie spielen auf wunderbare Art mit tradierten Klischees, auch mit Rollen- und Feindbildern. So entsteht ein vielfältiges Muster mit wichtigen Grautönen. Das ist also alles andere als „ideologische“ Schwarzweißmalerei. Und es ist einfach nur grotesk, was da mit der ersten lesbischen Kuss-Szene und vor allem mit den Leaks an abstrusen Vorwürfen aufkam – vor allem gegenüber Neil Druckman. Also zurück zur gespielten Realität, in der…
„The Russians love their Children too…“
…der Bodycount amerikanisch hoch ist, in der Ellie letztlich weiter überzeichnet wird, wenn sie mit „Yeah!“ und „Stirb, du Drecksau!“ ihre Kills feiert. Aber: Man reflektiert mehr, weil einem die Regie leise etwas ins Ohr flüstert. Das fängt bei Kleinigkeiten an: Man tötet z.B. keine anonymen Söldner, sie haben Namen, die ihre Feunde auch rufen, wenn sie ihre Leichen entdecken. Und manchmal findet man später heraus, wen sie geliebt haben, dass sie Kinder oder Träume hatten.
Es gibt Sadisten und Arschlöcher, aber auch Flüchtlinge und Mitläufer auf allen Seiten, die einfach Angst haben – nicht jeder Sektierer oder Fundamentalist ist ein schlechter Mensch. Trotzdem hat man ihn gerade in eine Sprengfalle gelockt. Und seinen Kumpel dazu. Das war taktisch cool. Aber dann schaut man einem Feind ins schmerzverzerrte Gesicht, der „seine Freunde niemals verraten“ würde. Hatte Ellie das nicht auch genauso gesagt? Oder war es Dina? Oder Tommy? Plötzlich meldet sich das Gewissen, klar erkennbar in Ellies Mimik – es ist fantastisch, wie Naughty Dog das Unausgesprochene damit immer wieder hörbar macht. Bei mir erklang dann dieser Song von Sting aus dem Kalten Krieg…
Dabei greift Naughty Dog offene Fragen aus dem Vorgänger auf, darunter natürlich die komplizierte Beziehung zwischen Ellie und Joel. Sie sind ja nicht biologisch Tochter und Vater, aber sie stecken psychologisch auf tragische Art in diesen Rollen. Dieses Verhältnis wird zusätzlich überschattet vom großen Konflikt des ersten Teils: Immerhin war Ellie mit ihrer Immunität die letzte Hoffnung der Menschheit. Joel hatte die Wahl, ob er sie für die Heilung der Welt opfert…
Hab das Spiel mittlerweile ein zweites Mal durchgespielt - diesmal mit fluffigen 60 FPS, aktivierten Cheats und deaktivierter Filmkörnung auf der PS5. Hat mir erneut Spaß gemacht - mit dem Abstand von mehr als zwei Jahren nach dem ersten Durchgang. Hab mir zudem noch die letzten fehlenden Artefakte und Sammelkarten geschnappt und somit seit gestern die Platin-Trophäe geangelt. Einige von den Collectibles hätte ich ohne die sehr hilfreichen YT-Videos zu dem Thema niemals alleine gefunden. Grafisch befindet sich das Spiel immer noch auf sehr hohem Niveau. Bei dem jüngst aufpolierten Part I hat sich in Sachen Mienenspiel aber merklich nochmal was getan. Auf dem Level befindet sich Part II nicht komplett. Trotzdem wären einige aktuelle Spiele der Konkurrenz froh, wenn sie nur ansatzweise so aussehen würden wie Part II. Spiele der PlayStation-Studios haben mich bisher selten enttäuscht. Nächster Kracher von dieser oder ähnlicher Qualität dürfte dann God of War Ragnarök sein...
Das Game wurde schlechter bewertet als Death Stranding. Ja nee, ist klar
15 Monate nach Release und in Version 1.09 rollten nun auch bei mir die Credits, und ich brauchte erstmal ein gutes Stündchen, um zu verarbeiten, was da über knapp 30 Spielstunden auf meinem Bildschirm passiert war. Selten hat mich eine Geschichte, ganz gleich ob erzählt via Videospiel, Film oder Serie, so aufgewühlt wie Neil Druckmanns jüngstes Werk, und ich bin froh, den ersten Teil zuvor bereits gespielt zu haben, um dramaturgisch die maximalmögliche Breitseite dieses Bretts vor den Latz gezimmert bekommen zu können. Zwar habe ich schon ein paar Kritikpunkte an manchen Aspekten der Erzählweise, auf die ich auch noch zu sprechen kommen werde, aber grundsätzlich kann ich dem Herrn Luibl nur zustimmen; The Last of Us Part II ist auch in meinen Augen nicht weniger als ein Meilenstein der Geschichte des Videospiels. Und nicht nur der des Videospiels: Auf Anhieb fällt mir kein filmisches Werk ein, das mir den Tropus der Rache reifer und im dramaturgisch-positiven Sinne unangenehmer nahgebracht hätte.
Menschen, so will es ihre Natur, fühlen sich in der Regel und gerade in Belastungssituationen, ganz selbstverständlich dem Lager verbunden, in das sie entweder zufällig hineingeboren wurden oder dessen Seite der Geschichte sie, ebenso zufällig, zuerst erfahren haben. Loyalität, und wem sie zugestanden wird, ist, genau wie bspw. beim Clubfußballfantum, selten rational begründbar und in erster Linie Werk der Göttin Tyche. Und wer Freund ist und wer Feind, das kann sich innerhalb kurzer Zeit ändern, wie uns im 20. Jahrhundert vor allem die Geschichte des Zweiten und des Kalten Krieges gelehrt hat. The Last of Us Part II zeigt auf herausragende Weise, was es bedeutet und wovon es abhängt, den Feind zu lieben und den Freund zu hassen, Identifikationsfiguren zu Endbossen aufzubauen und beim Gegner den Freund, die Gattin, die Familie eines anderen Menschen und einer anderen Biographie mitzudenken; "The Russians love their children, too ..." trifft den Nagel gut auf den Kopf....
Ich habe vor dem Spiel - wie wahrscheinlich viele andere auch - noch einmal den ersten Teil gespielt. Im Anschluss dann Teil 2 und dann Teil 2 einfach nach ca. 2 Wochen direkt noch einmal.
Dabei hat mich tatsächlich der Personenwechsel im Spiel beim ersten Mal richtig gewurmt. Wenn man dann aber dabei bleibt, dann wächst das Spiel durch diesen Wechsel in meinen Augen noch einmal extrem. Die Nachvollziehbarkeit der Motivation beider Charaktere und auch diese Momente am Ende,... ich fand es großartig.