Wenn man einen Zauber wirkt, der die komplette Gruppe bei gleißendem Licht in die Luft befördert, von wo aus Mondlicht für die Heilung der eigenen und die Verwundung feindlicher Kämpfer sorgt, wirkt dieses von der Unity-Engine inszenierte Tyranny spektakulär. Es gibt viele ansehnliche magische Effekte und martialische Animationen. Sehr lobenswert sind auch die Reaktionen innerhalb der pausierbaren Echtzeitgefechte: bei Verbrennungen z.B. schreien die Opfer und fuchteln wild um sich. Trotzdem kann kunterbuntes Chaos sowie Blindheit an Ecken entstehen, zumal die Kamera zwar zoom-, aber nicht drehbar ist.
Das Kampfsystem ist taktischer, kombinationsfreudiger und magiefixierter als jenes von Pillars of Eternity. Steigt man einen Level auf, darf man eines der Attribute von Schnelligkeit bis Stärke erhöhen und ein Kampf-, Zauber- oder Heiltalent in einem der Bäume freischalten, die sich natürlich von Klasse zu Klasse unterscheiden. Im Mittelpunkt stehen vor allem die Gefährtenkombos. Dahinter verbirgt sich eine Art von arkanem Tag-Team: Der Held kann mit einem Partner immer mehr der freigeschalteten Kombos ausführen, die einen oder mehrere Feinde in teils akrobatischer Zusammenarbeit in arge Bedrängnis bringen. Es macht Spaß, mit diesen kooperativen Möglichkeiten zu experimentieren, zumal sich manches Gefecht ohne diese nur schwer meistern lässt.
Defizite und Schwierigkeitsgrad
Allerdings gibt es im Kampf auch einige klare Defizite: Zum einen reagiert die KI schrecklich lethargisch, so dass man schonmal mit drei Feinden kämpft, während zwei ihrer Kollegen ein paar Meter weiter im selben Raum nur zusehen. Sprich: Die Radien für das Eingreifen bei Sichtkontakt oder Geräuschen sind viel zu klein.
Zum anderen kann man Deckungen oder Höhenvorteile im Gelände kaum effizient nutzen, zumal die Wegfindung auch immer wieder zicken kann. Schließlich lässt sich die Umgebung auch nicht interaktiv einbeziehen, etwa über zerstörbare Hindernisse, im Vorfeld gelegte Fallen oder etwa entflammbares Öl. Auch dass man in einem Raum mit Feinden für mehrere Stunden bis zu kompletten Heilung und Aufladung mächtiger Zauber rasten kann, wirkt befremdlich.
Ich empfehle einigermaßen erfahrenen Rollenspielern auf jeden Fall den dritten von vier Schwierigkeitsgraden, sonst kommt man viel zu leicht voran. Wer es noch härter mag, hat zwei Möglichkeiten: Man kann den „Expertenmodus“ aktivieren, der viele Hilfen deaktiviert – auch dazu würde ich raten, denn sonst sieht man Geheimnisse noch vor der Entdeckung (!) als Symbole auf der Minikarte; das ist für Rollenspieler natürlich ein Unding. Vom „Eisenmodus“ würde ich eher abraten, denn dieser lässt euch nur einen Spielstand anlegen, was aufgrund der vielen Entscheidungen und Konsequenzen keine gute Idee ist: schließlich kann man sich ja mal mit einer Antwort vertun.
Ich hole Tyranny gerade nach und finde es zutiefst bedauerlich, dass es vergleichsweise untergegangen ist.
Normalerweise spiele ich in solchen Titeln eher den 0815 chaotisch guten Dude von nebenan, aber hier setze ich Kyros' gottverdammtes Gesetz durch, teilweise sogar mit völliger Überzeugung und maximaler Inbrunst, denn irgendjemand muss diese starrsinnigen, von vermeintlicher Ehre besessenen Stufenbewohner ja vor der endgültigen Auslöschung bewahren.
Dass ich, um den Krieg zügig zu beenden, dabei mit noch starrsinnigeren, recht faschistoiden Fanatikern paktiere (und mir insgeheim die Option offen halte, dieses Bündnis bei Bedarf zu brechen), ist nur Mittel zum größeren Zweck.
Grandios! Mehr davon!
Da sind mir die recht lahmen Kämpfe und die Loot-Langeweile auch relativ wumpe. Man stelle sich nur vor, mehr Budget würde in Entscheidungsfreiheit bei Dialogen und daraus resultierende Konsequenzen gepumpt anstatt in raytracing und ähnlichen Klimbim...
Ich habe Tyranny durchgespielt und fand die Geschichte meisterhaft. Tatsächlich ist es meiner Meinung nach gar nicht möglich, eine so fesselnde Geschichte zu erzählen, wenn ausufernde Nebenquests oder endloses Schlachtgetümmel den Faden ständig wieder abreißen lassen. Wo vielleicht noch etwas mehr gegangen wäre, sind die Zwiegespräche der Party. So etwas wie: "Nicht so laut Du wandelndes Belagerungsgerät. Es besteht überhaupt kein Grund sich übereilt in den Kampf zu stürzen." Lyra zu Barik. Davon hätte ruhig mehr kommen können, Mit anderen Worten, ich hätte gern noch mehr Text gehabt. Gerade weil Obsidian diesen Punkt bei NWN2 zum Beispiel sehr gut hinbekommen hat. (Dafür war der Plot dort nur gut verpackter Standard).
Die Kämpfe waren tatsächlich weniger spannend und immer etwas hölzern. Am Anfang sind es immer 4 Gegner, später 5 und noch später auch mal 6. Schöner wäre es gewesen wenn mal richtig viele (aber dafür schwächere Gegner aufgetaucht wären) oder anderweitig mehr Abwechslung geherrscht hätte. Z.B. durch die Einbeziehung von Sichtlinien. Lediglich die Geister haben eine kurze Veränderung der Angriffstaktik erfordert. Im allgemeinen kommt man sonst mit ein und der selben Taktik durch. Ich habe bei Halbzeit auf schwer umgestellt, das hat auch keine wirkliche Herausforderung gebracht. Naja, spannende Kämpfe und spannende Story in einem Spiel sind vielleicht zu viel erwartet.
Nach dieser Erfahrung und dem vollständigen Lesen dieses Threads werde ich mir wohl planescape torment bei gog kaufen müssen,
Ist halt komisch, mit vielem was du schreibst über IE hast du vollkommen recht, trotzdem machen die Kämpfe mehr Spass. Hast sogar vergessen, dass man sich als Magier unverwundbar machen konnte wenn ich mich recht erinnere (in BG2 ohne mods). Super toll war die IE wirklich nicht. Wünsche mir immer noch ein Spiel wie PoE oder Tyranny mit den Kampfmechaniken von PoEE.
Danke, ich werde dann White March definitiv mal versuchen.