Findet man so genannte Sigils, darf man unabhängig von den freigeschalteten Talenten eigene Zauber aus drei Teilen bauen: Man wählt einen Kern wie z.B. Heilung, Blitz oder Frost, danach die Distanz von nah bis weit sowie die Intensität oder andere Verbindungen. Klingt interessant, macht zunächst auch Spaß, aber bietet mir auf lange Sicht zu wenig Möglichkeiten, was Konter oder Schutzmagie betrifft. Da war für einen arkanen Baukasten mehr drin!
Tyranny wirkt auch nicht klar genug in seinem Spieldesign, denn der ganze Unterbau an typischen Rollenspielelementen wie Inventar und Gegenstände, Kauf und Ausrüstung, Schleichen und Fallen, wirkt stellenweise überflüssig. Oder anders: Warum soll sich der Gesandte des Tyrannen mit diesem schnöden Kram der Sammelei oder Erkundung beschäftigen, den man von gemeinen Helden kennt, die erst langsam in der Hierarchrie sowie Macht aufsteigen und sich über ein Langschwert+1 oder Umsatz beim Händler freuen dürfen?
Einige kleine Aktionen im Gelände erinnern in der Abfrage von Fähigkeiten auch an Pillars of Eternity: Wer irgendwo hinauf zu einem Schatz klettern will, muss z.B. eine Athletik von 35 vorweisen. Obwohl das lobenswert ist, wirken
viele dieser Situationen eher wie Altlasten, denn dieses Spiel bietet deutlich weniger Erkundungsreize als das klassische Fantasy-Abenteuer, zumal nicht eine weitläufige Welt mit Dungeons und Orten, sondern die Politik sowie die Fraktionskonflikte im Vordergrund stehen. Vielleicht wäre Mut zur Lücke hier besser gewesen.
Fallen, Diebstahl & Co
Wenn man in den Schleichmodus wechselt, kann man zwar Fallen finden und entschärfen oder auch lila gefärbte Truhen bzw. Schätze entdecken. Aber das subtile Vorgehen wirkt alles andere als durchdacht und macht kaum Laune. Man kann auch ohne Tarnung in jedem Raum alles mitgehen lassen und selbst bei den mächtigen Archonten klaut man ohne Reaktion oder gar Konsequenzen. Was soll das? Außerdem vermisst man mehr interessante Geheimnisse wie verborgene Räume oder Wege – weder im Gelände noch in den Räumen gibt es viel zu entdecken. Wer
klassisches Labyrinth-Gefühl mit spannenden Erkundundungsphasen sucht, wird in den kleinen Arealen nicht auf seine Kosten kommen.
Die vorbildliche Verzahnung von Text und Keywords hatte ich erwähnt. Ganz so lobenswert ist die etwas verschachtelte Benutzeroberfläche auf den ersten Blick nicht, zumal es kleine Hindernisse beim Waffenvergleich gibt: Anstatt automatisch sofort dieselbe Gattung auszuwählen, muss man manchmal manuell die Slots wechseln, wenn man nicht Schwert mit Stab vergleichen will. Man häuft zudem viel Überflüssiges an und muss etwas zu lange mit Schnellzugriff, Sonderzaubern & Co hantieren, bevor es im Kampf flutscht. Erst wenn man das System verinnerlicht hat, weiß man auch die vielen Sortier- und Belegungsfunktionen zu schätzen.
Ich hole Tyranny gerade nach und finde es zutiefst bedauerlich, dass es vergleichsweise untergegangen ist.
Normalerweise spiele ich in solchen Titeln eher den 0815 chaotisch guten Dude von nebenan, aber hier setze ich Kyros' gottverdammtes Gesetz durch, teilweise sogar mit völliger Überzeugung und maximaler Inbrunst, denn irgendjemand muss diese starrsinnigen, von vermeintlicher Ehre besessenen Stufenbewohner ja vor der endgültigen Auslöschung bewahren.
Dass ich, um den Krieg zügig zu beenden, dabei mit noch starrsinnigeren, recht faschistoiden Fanatikern paktiere (und mir insgeheim die Option offen halte, dieses Bündnis bei Bedarf zu brechen), ist nur Mittel zum größeren Zweck.
Grandios! Mehr davon!
Da sind mir die recht lahmen Kämpfe und die Loot-Langeweile auch relativ wumpe. Man stelle sich nur vor, mehr Budget würde in Entscheidungsfreiheit bei Dialogen und daraus resultierende Konsequenzen gepumpt anstatt in raytracing und ähnlichen Klimbim...
Ich habe Tyranny durchgespielt und fand die Geschichte meisterhaft. Tatsächlich ist es meiner Meinung nach gar nicht möglich, eine so fesselnde Geschichte zu erzählen, wenn ausufernde Nebenquests oder endloses Schlachtgetümmel den Faden ständig wieder abreißen lassen. Wo vielleicht noch etwas mehr gegangen wäre, sind die Zwiegespräche der Party. So etwas wie: "Nicht so laut Du wandelndes Belagerungsgerät. Es besteht überhaupt kein Grund sich übereilt in den Kampf zu stürzen." Lyra zu Barik. Davon hätte ruhig mehr kommen können, Mit anderen Worten, ich hätte gern noch mehr Text gehabt. Gerade weil Obsidian diesen Punkt bei NWN2 zum Beispiel sehr gut hinbekommen hat. (Dafür war der Plot dort nur gut verpackter Standard).
Die Kämpfe waren tatsächlich weniger spannend und immer etwas hölzern. Am Anfang sind es immer 4 Gegner, später 5 und noch später auch mal 6. Schöner wäre es gewesen wenn mal richtig viele (aber dafür schwächere Gegner aufgetaucht wären) oder anderweitig mehr Abwechslung geherrscht hätte. Z.B. durch die Einbeziehung von Sichtlinien. Lediglich die Geister haben eine kurze Veränderung der Angriffstaktik erfordert. Im allgemeinen kommt man sonst mit ein und der selben Taktik durch. Ich habe bei Halbzeit auf schwer umgestellt, das hat auch keine wirkliche Herausforderung gebracht. Naja, spannende Kämpfe und spannende Story in einem Spiel sind vielleicht zu viel erwartet.
Nach dieser Erfahrung und dem vollständigen Lesen dieses Threads werde ich mir wohl planescape torment bei gog kaufen müssen,
Ist halt komisch, mit vielem was du schreibst über IE hast du vollkommen recht, trotzdem machen die Kämpfe mehr Spass. Hast sogar vergessen, dass man sich als Magier unverwundbar machen konnte wenn ich mich recht erinnere (in BG2 ohne mods). Super toll war die IE wirklich nicht. Wünsche mir immer noch ein Spiel wie PoE oder Tyranny mit den Kampfmechaniken von PoEE.
Danke, ich werde dann White March definitiv mal versuchen.