Spürbare Geschichte
Der 30 Jahre zurück liegende Bürgerkrieg wird also nicht nur oberflächlich in einer Szene oder Notizen erwähnt. Nein, dieser immer noch schwelende Konflikt zwischen Nord und Süd inklusive des in Folge der „Reconstruction“ zerstörten Landes, das mit Armut zu kämpfen hat und in dem die Schwarzen zwar offiziell frei sind, aber immer noch ausgegrenzt werden, wird über die Spielwelt konkret dargestellt. Man findet neben Prachtvillen z.B. alte Schlachtfelder mit Kanonen und Schützengräben, verwahrloste Veteranen, zerschossene Villen, finstere Keller mit Ketten, trifft auf ehemalige Sklavenhändler und den Ku-Klux-Klan. Nicht in einer offiziellen Mission, sondern einfach so in einer Nacht bei einem Ritt durch einen Wald konnte ich ein Treffen dieser weißgewandeten Vermummten mit ihren Spitzhüten beobachten. Ich hätte einfach weiter reiten können, denn es waren etwa ein Dutzend. Aber ich hatte zufällig Dynamit dabei und konnte die Rassisten-Party sprengen…
Überhaupt bildet Rockstar Games verblüffend viel amerikanische Geschichte ab. Nahezu alle Aspekte, die ich in den vielen Aufsätzen amerikanischer Historiker in der 1994 erschienen „The Oxford History of the American West“ von Milner, O’Connor
und Sandweiss gefunden habe, werden thematisiert. Nicht nur der Sezessionskrieg, auch die in Reservaten zusammen gepferchten Indianer, die – teilweise naiven – Siedler aus Europa, die Ausbeutung durch Industrielle sowie die Anfänge der Mafia in den Städten. Nirgendwo wird der Zusammenprall des Wilden Westens mit dem modernen Amerika so deutlich wie in der Stadt St. Denis mit ihren mehrstöckigen Häusern, der Straßenbahn, den qualmenden Fabrikhallen und dem Hafen – da fühlt man sich auf seinem Pferd wie ein Fremder. Hinzu kommt sehr viel authentisch designtes Archiv- und Namenmaterial, das man in kleinen Funden und Fotos entdecken kann. So erfährt man mehr über berühmte Künstler, Sportler, Schriftsteller, Erfinder etc. Natürlich wird einiges überzeichnet, aber die Regie zeigt immer wieder Graustufen abseits des erhobenen Zeigefingers, hält vielen Entwicklungen und Charakteren den Spiegel vor – es gibt wunderbare Szenen, in denen vermeintlich friedliche Leute plötzlich einen Mord verlangen, weil ihr Moralkodex überschritten wurde. Und noch wichtiger: Die Regie bewahrt sich einen wunderbar trockenen Humor, der mich immer wieder an Scorsese und Eastwood erinnert hat.
Lustige Anekdoten und Belohnungen
Obwohl die Gewalt mit Überfällen, Unfällen & Co an der Tagesordnung ist: Es gibt viele lustige Situationen auf dem Weg zum Ziel! Mal soll man einen Trottel vom Land spielen, damit man Schnaps in einer Bar ausschenken kann, mal fährt man als Kutscher eine singende Gruppe Frauen, die für ihr Wahlrecht demonstrieren wollen, mitten durch eine Südstaaten-Stadt voller
gaffender Männer. Man trifft selten dämliche, schrecklich unglückliche und skurrile Leute, wie etwa einen englischen Zirkusdirektor, der sich als Tierbändigerin (!) ausgibt und sein Zebra, seinen Tiger sowie seinen Löwen sucht, die irgendwo herum stromern – viel Spaß mit dieser wunderbaren Nebenquest. Oder ihr sucht ehemalige Revolverhelden für einen Autoren auf, der ein Buch schreiben will. Hinzu kommt die wohl beste Darstellung eines totalen Absturzes in einem Videospiel, als sich Arthur mit einem Kumpel so richtig die Kante gibt. Schon vom Zusehen hatte ich einen Kater.
Schön ist, dass es meist eine Überraschung gibt, und sei es nur die Belohnung eines Mannes, der mir von der anderen Straßenseite am Saloon zuruft. Warum? Er erinnert sich an mich und bietet mir einen Waffenkauf meiner Wahl an. Ich hatte ihm ein paar Kilometer weiter nach einem Schlangenbiss mit Medizin geholfen. Manchmal wird man auch direkt belohnt: Einem reisenden Spanier kaufe ich eine Schatzkarte ab und werde auf eine mehrteilige Schnitzeljgad geführt, bei der ich mich lediglich anhand der Skizzen orientieren kann – das hat richtig Spaß gemacht. Als ich einem Sträfling die Ketten aufschieße, erzählt er von einer verlassenen Villa mit Reichtümern: Ihr Ort wird auch nicht genau auf der markiert, sondern lediglich die Region genannt. Man kann aber auch böse verarscht werden, wenn man jedem Hilferuf – vor allem von Frauen in Nöten – als weißer Ritter nachkommt. Überhaupt werden die Begegnungen in diesem Wilden Westen angenehm unberechenbar ausgespielt, was in brenzligen Situationen an das endzeitliche Survival-Abenteuer I Am Alive erinnert. Wie hat man sich das vorzustellen?
Heute ist wieder mal einer der Abende, an denen ich dasitze und über das Spiel nachdenke, obwohl ich es seit Sommer letzten Jahres nicht mehr gespielt habe. Ich habe damals nach Ende der Story monatelang gar nichts mehr spielen können, weil mir im Vergleich dazu alles schal vorkam... Shit, ich habe sogar nicht einmal den Epilog beendet damals
Ich sitze manchmal da und denke über Arthur nach, als ob er eine reale Person wäre - ich vermisse ihn dann sehr ^^
Daher nochmals danke an ihn für diese unvergessliche Reise und danke an Rockstar, auch wenn ihr in der letzten Zeit viel Bullshit abzieht, was ihr hier geschaffen habt, sucht imho seinesgleichen!
Die Frames sind leider nur 30, stimmt.
Dennoch sieht das Spiel auch heute noch einfach super aus, alleine das Licht.
Außerdem sind die Ladezeiten auf der PS5 sehr angenehm.
Unglaublich aber wahr: Ich habe in über einem halben Jahr noch kein PS4-Spiel in meine PS5 gepackt. Von Haus aus wird RDR2 nicht auf 60fps geboostet, oder? Gibt ja Listen, die beschreiben, welche PS4-Spiele auf der PS5 profitieren. Leider gehört RDR2 offensichtlich bisher nicht dazu. OK, kürzere Ladezeiten sind auch was.